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Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre
Autoren: Will Berthold
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Krawuttke und ein zweiter Beamter, der ebenfalls einen schwarzen Schlips trug. Der Wagen fuhr rasch zum Friedhof, kein Insasse sagte ein Wort.
    Am Rande des Gottesackers stauten sich die Gaffer, durchsetzt von Reportern, die Martin einst gerufen hatte; aus der Ritt-Legende war der Fall Ritt geworden, die Geschichte eines Außenseiters, der gerade seine Mutter verlor, als sein wirtschaftliches Imperium auseinanderbrach, und so verursachte eine stille Frau Schlagzeilen.
    »So schnell wie möglich durch das Portal!« wies Krawuttke den Fahrer an.
    Der Einsatzleiter sah den Wagen kommen und pfiff.
    Polizisten drängten die Neugierigen zurück.
    Mit Blaulicht und Vollgas schoß der Wagen zur Begräbniskapelle.
    Die Tote war noch aufgebahrt, mit gefalteten Händen, winzig, schmal, wächsern. Daß der Sarg noch nicht geschlossen war, ging auf eine Sonderregelung zurück. Eine Justiz wollte es dem verhafteten Sohn möglich machen, die tote Mutter noch einmal zu sehen.
    Martin stand vor ihr, mager, steif, reglos. Krawuttke hatte sich hinter ihm aufgestellt; es war eine jener Stunden, die dem Kriminalkommissar mitunter den Beruf verleideten. Er hatte Anweisung, Demonstrationen zu dämpfen und einen Fluchtversuch zu hindern; als er sah, wie leer der Blick des Gefangenen war, wußte er, daß ihm Ritt Schwierigkeiten ersparen würde.
    »Kann ich jetzt den Sarg schließen lassen?« fragte ein Inspektor der Friedhofsverwaltung.
    Martin schwieg; Krawuttke nickte zustimmend.
    Gemessen schritt der Curé zum Sarg, ein Priester, der wenig Worte machte. Der Sohn war evangelisch, die Mutter Katholikin, und so hatte Martin darauf bestanden, daß Mamans Beerdigung nach dem Ritus ihres Glaubens, in der Sprache ihres Landes, von einem langjährigen Vertrauten, der aus Südfrankreich angereist war, vollzogen wurde.
    Der Sarg wurde auf den Katafalk gehoben und mit Kränzen bedeckt. Die Friedhofsglocke begann zu klagen, eng aneinandergedrängt reckten die Zuschauer die Köpfe, ohne sehen zu können, daß sich der Trauerzug in Bewegung setzte.
    »Notre Père, qui êtes aux deux …«, betete der Priester, der dem Sarg folgte, flankiert von zwei Ministranten mit frischen Gesichtern; dahinter Martin, allein, schmal, aufrecht, einen halben Meter zurück Krawuttke und der zweite Beamte: das Trauergefolge.
    Der Weg war gepflegt, Sand knirschte weich unter den Rädern des Katafalks, die Sonne leuchtete hell, blendete die vier Friedhofswärter, die sich an den Ecken des Sarges postiert hatten, legte sich auf den dunklen Schrein, der die zierliche Frau vor einer Sonne schützte, der sie immer ausgewichen war. Regentropfen glänzten auf den gewaschenen Taxushecken noch wie schimmernde Perlen, und das silberne Kreuz des Priesters warf goldene Strahlen.
    »–  votre règne arrive, que votre volonté soit faite sur la terre comme au ciel …«, betete der Priester.
    Die Friedhofswärter in den uniformierten Anzügen schritten langsam feierlich. Trauer war ihr täglich Brot, und so trugen sie hölzerne Gesichter, jeweils auf das Stichwort ›Amen‹ wartend, das sie auch hier verstehen würden, obwohl dieser Priester französisch sprach.
    »Notre pain de chaque jour, et pardonnez-nous nos offenses comme nous pardonnons à ceux qui nous ont offensés …«, betete der Curé.
    Der Zug bog nach links ab, der Lärm der Straße verebbte, es wurde stiller, bis ein Fotograf, der die Mauer des Gottesackers erstiegen hatte, von einem Polizisten gestellt wurde: »Herunter mit Ihnen!« rief der Uniformierte, »aber sofort!«
    »Langsam, Mann …«
    Der Beamte pfiff, seine Kollegen kamen ihm zu Hilfe, und der von der Mauer gezogene Reporter sah erbittert zu einem anderen hin, der auf dem Ast einer mächtigen Kastanie außerhalb des Friedhofs lauernd, Martin im Bildausschnitt hatte, Blende acht, Teleobjektiv, Druck auf den Knopf, exklusiv. Dieser Reporter genoß die Flüche seiner Kollegen, die weniger sportlich waren als er, turnte mit der umgehängten Kamera nach unten; er hatte den Schnappschuss im Kasten, und damit war die Sache für ihn erledigt.
    »…  mais délivrez-nous du mal …«, betete der Priester.
    Vor dem offenen Grab hielten die Räder des dunklen Gefährts. Die Kränze wurden herabgenommen – wortlose Kränze, ohne Schleifen –, der Sarg vorsichtig zu Boden gesetzt.
    Der Curé betete jetzt lateinisch, die Ministranten antworteten ihm mit heller Stimme.
    Dann war es still.
    Auch der Geistliche schwieg; er wollte dem Sohn Zeit lassen zum
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