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Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre
Autoren: Will Berthold
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nicht verstehen, Herr Kollege«, sagte Oberstaatsanwalt Dr. Link zu seinem Sonderdezernenten. »Da lassen Sie wertvolle Zeit verstreichen, warten, bis ich von einer Tagung zurückkomme, nur aus übertriebener Gewissenhaftigkeit. Es ehrt Sie, Rothauch, gewiß«, fuhr er mit einem schiefen Lächeln fort, »aber daß ein Häftling gesteht, um aus der Haft zu kommen, erleben wir doch alle Tage – dazu ist die U-Haft ja da, ich meine in der Praxis, nicht in der Theorie.« Er lachte ungut. »Daß Häftlinge mitunter zu gesprächig sind, um überschnell wieder nach Hause zu kommen, ist nicht unsere Schuld – sondern unsere Chance.« Sein Fischmund zuckte. »Ich und auch Sie – wir haben doch wohl schon als Studenten begriffen, daß ein Geständnis die Krone des Beweises ist.«
    Die Besprechung fand in Rothauchs Dienstzimmer statt. Der Oberstaatsanwalt trug noch den Reiseanzug, er war nach seiner Ankunft sofort zum Justizpalast gefahren.
    »Wenn Sie jetzt kalte Füße bekommen sollten, hätten Sie sich eben nicht so weit vorwagen dürfen.« Dr. Link musterte mit seinen runden starren Hechtaugen den Staatsanwalt. »Verstehen Sie mich bitte richtig, mein Lieber – alles keine Vorwürfe. Ich weiß um Ihre besondere Anstrengung, gerade in diesem Fall – wie auch in anderen –, ich schätze Ihren Fleiß und Ihre Tüchtigkeit – ich habe auch in Ihrer Beurteilung nicht vergessen, Ihr stets wägendes Gerechtigkeitsgefühl zu würdigen – deshalb ließ ich Ihnen ja auch in Sachen Ritt von Anfang an freie Hand.«
    »Danke, Herr Oberstaatsanwalt«, erwiderte Rothauch unterwürfig.
    »Dabei soll es auch bleiben. Ich möchte Ihnen höchstens sagen, was ich – vermutlich – an Ihrer Stelle täte.« Er lehnte sich zurück und schloß die Augen. »Auf dieses Geständnis würde ich unter keinen Umständen verzichten. Wenn Sie Ritt nicht ganz trauen sollten – warum, weiß ich wirklich nicht –, dann steht es Ihnen frei, in einem Nachsatz eine persönliche Bemerkung in den Akten festzuhalten.« Er sah, daß sein Musterschüler seine Worte aufsaugte. »Ich würde ihn danach gegen eine ungewöhnlich hohe Kaution entlassen und mich dadurch auch noch gegen einen eventuellen Vorwurf schützen, es ginge mir darum, Ritts wirtschaftliche Existenz zu erschüttern.«
    »Gut, Herr Oberstaatsanwalt«, sagte Rothauch.
    »Dann würde ich bei dieser veränderten Sachlage unverzüglich der Presse mitteilen, daß und warum dieser Ritt verhaftet wurde.«
    »Wird erledigt, Herr Oberstaatsanwalt.«
    »Nein«, entgegnete Dr. Link, »Sie sollen darüber nachdenken und eigene Entschlüsse fassen.« Der Oberstaatsanwalt bot Rothauch eine Zigarette an und gab ihm Feuer. »Die Pressemenschen gehen auch mir manchmal gegen den Strich«, sagte er, »aber man braucht sie. Sie werden staunen, Herr Kollege, wie diese Sensationsblätter, die Ritt gestern noch hochpriesen, als erste zurückstecken.«
    »Ich darf Ihnen versichern, Herr Oberstaatsanwalt, daß mich Ihre klare Definition außergewöhnlich …« Rothauch sah unwillig zu seiner Sekretärin, die Anweisung hatte, Gespräche mit dem Chef nicht zu stören. »Was gibt's?« fragte er.
    »Eine Meldung von Kriminalkommissar Krawuttke«, antwortete das Mädchen, »ich hielt sie für …«
    Der Staatsanwalt nahm den Zettel, las, seine Lippen schürzten sich abwehrend.
    »Ritts Mutter ist gestorben«, sagte er betroffen.
    »Das«, erklärte Dr. Link, »ist wirklich außerordentlich peinlich«, er klopfte seinem Sonderdezernenten auf die Schulter, »hat aber wohl rechtlich nichts zu besagen …«
    Noch am gleichen Tag ließ die Pressestelle des Landgerichts wissen, daß der Finanzmakler Martin Ritt wegen dringenden Verdachts einer Tat nach § 333 StGB in Haft genommen werden mußte. Im Hinblick auf das schwebende Verfahren könne die Staatsanwaltschaft weitere Mitteilungen nicht machen, im übrigen empfehle sie jedoch der Öffentlichkeit, sich der gleichen Zurückhaltung zu befleißigen.

IX
    Ein Gewitter hatte am Donnerstagmittag die schwüle Luft gereinigt, seit Tagen kam zwischen den fliehenden Wolken zum ersten Mal die Sonne durch, als der Nordwind den Himmel säuberte. Unter der unerwarteten Hitze litten die Polizisten, die in Massen aufgeboten worden waren, um den Südteil des Waldfriedhofs abzuriegeln, denn die Sensation war dabei, sich am Leid zu weiden.
    Kurz vor fünfzehn Uhr verließ der grüne Polizeiwagen das Untersuchungsgefängnis, links vorn der Fahrer, neben ihm Martin, dahinter
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