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Die Wiege des Windes

Titel: Die Wiege des Windes
Autoren: Ulrich Hefner
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genug?«
    Betreten blickte Larsen zu Boden. »Sie haben schon wieder die Fahrrinne am Borkumgrund vertieft. Schau dir die Küste an. Das Watt ist mittlerweile löchrig wie ein Käse. Bald fahren sie mit den großen Fähren zu den Inseln. Zweimal so groß wie die von Frisia. Im Sommer tummeln sich die Bootsausflügler an den Sandbänken und das Robbensterben hält noch immer an.«
    »Trotzdem hast du nicht das Recht, sie zu bedrohen«, sagte Corde. »Du musst sie überzeugen, aber in der Sache und nicht mit Gewalt.«
    »Es geht nur um Profit, das ist ihre einzige Religion«, erwiderte Larsen. »Hast du nicht selbst gesagt, man muss für seine Überzeugungen einstehen, auch wenn’s manchmal weh tut?«
    Corde lächelte. »Ja, genau das habe ich gesagt, mein Junge, aber das ist doch etwas ganz anderes.«
    »Was ist daran anders? Diese Welt geht langsam aber sicher vor die Hunde. Da kann ich nicht einfach zuschauen. Das ist meine Überzeugung, verstehst du?«
    Der Alte nickte. »Du bist wie dein Vater«, sagte er sanft.
    Den Rest des Weges schwiegen beide. Als der Kutter in den Hafen von Langeoog einfuhr, peitschte der starke Wind die Wellen auf. Noch bevor Corde mit Larsens Hilfe sein Schiff vertäut hatte, lief der rostrote Kreuzer durch das Hafentor in das ruhigere Hafenwasser ein.
    Corde richtete sich überrascht auf. »Hast du davon gewusst?«, fragte er Larsen, der gerade das starke Schiffstau um den Poller legte.
    Ein Lächeln huschte über Larsens Lippen. »Sie haben sich gestern ein paar Zimmer im Hotel Flörke bestellt«, antwortete er, bevor er die Kapuze seines Parkas tief ins Gesicht zog.
    *
    Nachdem der rostrote Kreuzer im Hafen von Langeoog vertäut war, stiegen die Männer von Bord und gingen zum kleinen Bahnhof hinüber, wo ein Zug der Langeoogbahn auf die Versorgungsfähre der Frisia-Fährgesellschaft wartete. Auch der Riese war unter ihnen. Es dauerte beinahe eine Stunde, bis die kleine rote Bahn mit der Besatzung des Kreuzers hinüber in das Dorf fuhr.
    Larsen atmete auf, als die Männer in den Zug gestiegen waren. Corde brühte einen Tee auf, während Larsen ungeduldig wartete, bis der Zug hinter der nächsten Biegung verschwand. Als die Nacht über die Insel hereinbrach, ging er von Bord des Kutters und verschwand im Dämmerlicht.
    Corde hatte es sich im Ruderhaus bequem gemacht und schreckte kurz vor Mitternacht auf, als jemand ans Fenster pochte. »Verdammt, was soll das denn?« Im schwachen Licht erkannte er Larsen. »Du spinnst wohl, Junge, wo kommst du her?«
    Larsen reichte ihm einen Brief in einem braunen Umschlag. »Versteck ihn gut. Gib ihn Rike, wenn sie wieder zurück ist. Aber sei vorsichtig. Es ist am besten, wenn du gleich aufbrichst.«
    Der Alte schaute den Brief ungläubig an. »Junge, ich will mit deinen Machenschaften nichts zu tun haben.«
    »Dafür ist es zu spät. Du steckst schon mitten drin. Es ist wichtig, dass du gleich ausläufst«, sagte Larsen eindringlich. »Und du weißt nicht, wo ich bin und du hast mich schon lange nicht mehr gesehen.«
    Ehe Corde noch etwas erwidern konnte, verschwand Larsen in der Dunkelheit. Eine halbe Stunde später legte Corde ab.
    *
    Corde vertäute den Kutter im Hafen von Greetsiel und fuhr in seinem alten, klapprigen Wagen nach Hause. Drei Tage waren inzwischen vergangen. Weder Rike noch Larsen hatten sich bei ihm gemeldet. Es war auch besser so. Der Junge zog das Unheil an wie an heißen Sommertagen der Süßmost die Wespen. Dabei war er überhaupt nicht schlecht, er war nicht kriminell. Er war nur rebellisch, ein wenig halsstarrig und rebellisch. Corde schaltete das Licht am Wagen ein. Die Dämmerung war hereingebrochen und die dicken Wolken verhießen nichts Gutes. Hoffentlich würde er es noch vor dem Regen nach Hause schaffen. Mit seinen knapp siebzig Jahren war er froh, wenn er seinen Wagen noch bei Tageslicht in seinem kleinen Hof hinter dem Deich abstellen konnte. Den Kutter über die See zu steuern, war etwas ganz anderes. Das machte er seit frühester Kindheit.
    Einen Kilometer hinter der Abzweigung nach Hauen lenkte er den alten VW in den schmalen Feldweg zu seinem Haus, das einsam etwas außerhalb des Ortes lag. Nach wenigen hundert Metern tauchte das von zwei hohen Birken flankierte Häuschen hinter den braunen Hecken auf. Corde steuerte seinen Wagen auf den geschotterten Hof.
    Schon als er auf die Haustür zuging, fiel ihm auf, dass etwas nicht stimmte. Sie stand einen Spalt breit offen und in dem kleinen Rechteck oberhalb der
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