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Die Wiege des Windes

Titel: Die Wiege des Windes
Autoren: Ulrich Hefner
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dehnte sich im Wellengang. Die Männer drüben auf dem Schiff schienen im unruhigen Wasser nach etwas zu suchen. Doch was war so interessant hier draußen?
    Was am Ende des Seiles schwamm, konnte Larsen nicht erkennen, dazu waren sie zu weit entfernt. Dennoch vermied er es, Corde anzuweisen, näher heranzufahren.
    NH-C 210 war die Kennung des Kreuzers. Eine schwedische Fahne wehte am Mast. Schon als das Schiff vor zehn Stunden Wilhelmshaven verlassen hatte, war er sicher gewesen, dass etwas nicht stimmte. Er hatte Erkundigungen über Schiff und Besatzung eingeholt: eine russische Forschungsgesellschaft, die ein Projekt zur Erforschung des Wattenmeers und seine Auswirkungen auf die klimatischen Verhältnisse durchführte. Aber da musste etwas anderes dahinterstecken.
    *
    »Wie lange willst du noch Löcher in die Luft starren, mein Junge«, riss ihn Corde aus seinen Gedanken. »Es kommt Sturm auf, wir sollten nicht zu lange warten, der Himmel gefällt mir heute nicht.«
    Larsen warf Corde einen geringschätzigen Blick zu. »Du machst dir zu viele Sorgen. Wir bleiben so lange wie die da drüben. Ich muss wissen, was hier vorgeht.«
    Der Alte wandte sich um und ging mit langsamen Schritten auf das Ruderhaus zu. Larsen nahm das Fernglas wieder vor die Augen. Auf dem Kreuzer herrschte noch immer hektische Betriebsamkeit. Männer in gelbem Ölzeug beugten sich über die Reling und starrten ins Wasser. Larsens Fernglas streifte ihre Gesichter. Plötzlich erstarrte er mitten in der Bewegung und sein Blick verharrte auf einer Gestalt, die abgesetzt von den anderen am Vormast stand. Der große und stämmige Mann mit dem dichten, schwarzen Vollbart trug eine dunkelblaue Daunenjacke mit Fellbesatz und hatte eine schwarze Wollmütze tief in das Gesicht gezogen. Vor seinen Augen lag ebenfalls ein Fernglas, das genau auf Larsen gerichtet war. Larsen zuckte zusammen. Es schien fast, als ob der Riese ihn hämisch anlächelte. Dann formte der Mann mit seiner rechten Hand eine imaginäre Pistole, indem er mit dem Zeigefinger auf Larsen zeigte und den Daumen wie einen Abzugshahn aufrichtete. Larsen blickte gespannt zu. Plötzlich ließ der Riese seinen Daumen nach vorne schnellen. Larsen hastete zum Ruderhaus und öffnete die Tür. »Wir müssen hier weg!«
    Warme Luft strömte ihm entgegen. Corde saß hinter dem Ruder und blätterte in einem alten, zerschlissenen Anglermagazin. Er blickte auf. »Was ist denn mit dir los? Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen.«
    Larsen schloss die Tür. »Sie haben uns bemerkt. Es ist besser, wenn wir verschwinden.«
    Mit einem Seufzer richtete sich der alte Corde auf. Behäbig startete er den Motor des alten Kutters. Als der Motor nach einem gurgelnden Grollen ansprang, atmete Larsen tief ein. Der riesige Mann auf dem fremden Schiff machte ihm Angst. Auf dem rostroten Kreuzer stimmte etwas nicht, und er würde herausfinden, was die Kerle dort draußen im Roten Sand im Schilde führten. Noch heute Nacht.
    »Holt dich Rike am Hafen ab, mein Junge?«, durchbrach Corde nach einer Weile das dröhnende Schweigen im Ruderhaus.
    »Rike? Nein, ich fahre nicht mit in den Hafen. Bring mich nach Langeoog und wenn dich jemand nach mir fragt, dann hast du mich nicht gesehen, verstanden!«
    Corde musterte ihn skeptisch. Larsen sah fast noch aus wie ein sommersprossiger Teenager, obwohl er Mitte dreißig war. Die strohgelben Haare hingen wirr in das bleiche Gesicht und die Pupillen der wässrig blauen Augen flatterten nervös hin und her.
    »Ihr habt doch nicht wieder etwas angestellt?«
    Larsen schüttelte den Kopf. »Nicht viel, nur ein paar Reifen platt gemacht und zwei, drei Briefe geschrieben. Jemand muss es diesen korrupten Schweinen doch mal zeigen. Sie sollen wissen, dass ihnen jemand auf die Finger sieht und sich wehrt.«
    Der Alte verzog das Gesicht. »Du hast dich erwischen lassen? Sie suchen dich?«
    Larsen druckste herum. »Sind wohl ein paar Fingerabdrücke auf dem Kuvert. Aber es steht nichts Schlimmes drin.«
    »An wen hast du die Briefe geschrieben?«
    »Einen nach Hannover und die anderen nach Oldenburg«, antwortete Larsen. »Sie sollen die Hände vom Wattenmeer lassen, sonst …«
    »… sonst?«
    Larsen seufzte. »… sonst sollen sie schon mal eine Seebestattung buchen.«
    Corde schüttelte den Kopf. »Ich habe deiner Mutter am Sterbebett versprochen, auf dich Acht zu geben, aber du reitest dich immer wieder selbst in die Scheiße. Ein Jahr hinter Gittern war wohl nicht
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