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Die Widmung: Roman (German Edition)

Die Widmung: Roman (German Edition)

Titel: Die Widmung: Roman (German Edition)
Autoren: Brunonia Barry
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Melville. »Sie will nicht reden.«
    »Das kann ich verstehen.«
    »Ich mache mir Sorgen um sie.«
    Mattei dachte nach. »Sie ist klug und vernünftig. Wenn sie so weit ist, redet sie mit dir.«
    Melvilles Gefühl für die Zeit verschwamm. Der Sommer ging in den Herbst über, aus dem September wurde Oktober. Die Ahornblätter färbten sich gelb und rot.
    Als es zu kalt wurde, um weiter auf dem Boot zu wohnen, mietete Melville zwei benachbarte Zimmer in einer Pension im Ort, wo Haustiere erlaubt waren. Sie nahm ihren Seesack, er nahm seinen. Dann ging er zurück zum Boot und holte die nächste Ladung. Er reichte ihr noch ein paar andere Sachen, die sie mitgenommen hatte, Bücher, eine Jacke und eine Mahagonikiste, an die er sich gar nicht erinnerte.
    »Die gehört mir nicht«, sagte sie, als er die Kiste zu ihr ins Zimmer stellte.
    »Mir auch nicht.«
    Er öffnete sie. Sie enthielt den Messingsextanten.
    »Der ist von Hawk«, sagte sie. »Wo hast du ihn her?«
    »Keine Ahnung. Ich dachte, du hättest ihn mitgebracht.«
    »Nein.«
    Er reichte ihr ein Blatt Papier, in der Annahme, es sei ein Brief für sie.
    »Lies du«, bat sie ihn.
    Er entfaltete das Blatt und schaute es neugierig an. »Das ist kein Brief«, sagte er. »Es ist eine Sternenkarte.«
    »Und du wusstest wirklich nichts davon?«
    »Ich schwöre. Ich kann die Kiste zu mir ins Zimmer stellen, wenn sie dich stört.«
    »Nein«, sagte sie. »Lass nur.«
    Er machte die Mahagonikiste wieder zu und stellte sie auf ihren Schreibtisch.
    Die nächsten beiden Wochen waren schlimm. Das Wetter war trüb, und ihnen beiden fehlte das Leben auf dem Boot. Nachts ließ er die Verbindungstür zwischen ihren Zimmern offen, damit er sie aus ihren immer wiederkehrenden Alpträumen wecken konnte. Bowditch wählte sein Plätzchen im Durchgang zwischen ihnen.
    In der dritten Oktoberwoche klarte der Himmel auf, und Zee zog es nach draußen. Morgens lief sie in die Stadt. Wenn sie nachts nicht schlafen konnte, ging sie manchmal an den Strand. Er machte sich Sorgen deswegen und sagte es ihr auch.
    »Was sollte mir denn passieren, was nicht schon passiert ist?«, fragte sie.
    Ihm fiel eine Unzahl von Dingen ein. Dinge, die ihm seit ihrer Kindheit durch den Kopf gegangen waren, die schlimmsten Alpträume, die Eltern haben. Er bot ihr an, sie zu begleiten, aber sie wollte alleine sein. Manchmal folgte er ihr an den Strand, wo sie zu den Sternen hinaufschaute, als suchte sie etwas.
    Höchstwahrscheinlich wusste sie, dass er ihr folgte, allerdings sprach sie ihn nie darauf an. Wenige Male drehte sie sich in seine Richtung um, zeigte jedoch kein Anzeichen dafür, dass sie ihn bemerkte. Er hielt Abstand, setzte sich auf eine Düne in der Nähe und schaute zum Himmel, um womöglich auch zu sehen, was sie da betrachtete.
    An einem kalten Abend Mitte Oktober stand sie auf und wischte sich den Sand von der Jeans. Dann ging sie zu ihm hinüber und setzte sich.
    »Hast du gefunden, was du gesucht hast?«
    »Manches.« Sie zeigte zum Himmel hinauf. »Da sind die Zwillinge. Und dort ist die Kassiopeia. Die Jungfrau wird bald völlig verschwinden.«
    »Wo will sie denn hin?«, fragte er.
    »In den Süden über den Winter, würde ich sagen.«
    »Kluge Frau«, meinte er.
    Gemeinsam gingen sie zurück ins Zimmer. Bowditch, der winselnd auf und ab gelaufen war, empfing sie an der Tür. Als er sie sah, schleppte er sich zu ihr und lehnte sich gegen ihr Bein. Sie streichelte ihn. Seufzend ließ er sich zu ihren Füßen niederplumpsen.

66
    Zee erwachte kurz vor Sonnenaufgang. Sie hatte eine kalte Nase. Die Heizkörper ächzten und stöhnten, als sie das erste Mal seit dem Frühjahr ansprangen. Der Geruch erinnerte sie unwillkürlich an das Haus in der Turner Street, als sie klein war. Tränen traten ihr in die Augen, aber sie liefen nicht herab. Es war keine traurige Erinnerung, eher eine Erinnerung an ein Gefühl der Sicherheit, doch sie konnte es nicht genau festmachen. Vielleicht noch zu Maureens Lebzeiten? Nein, da war Zee schon älter gewesen. Sie blieb ein wenig dabei, hoffte, es herauszubekommen, aber es löste sich auf wie Nebel im Hafen. Trotzdem war sie dankbar, dass sie dieses Bild im Kopf hatte und nicht das von Roy, das sie seit den letzten anderthalb Monaten jeden Tag beim Aufwachen mit viel Mühe aus ihrem Bewusstsein drängen musste.
    Vom Bett aus sah sie die Horizontlinie erscheinen. Ein paar Sterne waren zu sehen, aber sie konnte sie nicht identifizieren. Wie viele Navigatoren wohl in
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