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Die Wespenfabrik

Die Wespenfabrik

Titel: Die Wespenfabrik
Autoren: Ian Banks
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verbliebene Rinnsal des Meeresarms sowie
einer Kirche.
    Das Sprengen eines guten, großen Dammes oder auch nur das
Überfluten ist fast so befriedigend wie die anfängliche
Planung und der Bau. Ich benutzte kleine Muscheln, die die Leute im
Dorf darstellten, wie üblich. Ebenfalls wie üblich
überlebte keine der Muscheln das Hochwasser, wenn der Damm
brach; alle gingen unter, was bedeutete, daß jedermann ums
Leben kam.
    Inzwischen war ich hungrig geworden, die Arme taten mir
allmählich weh, und meine Hände waren vom Umfassen des
Spatengriffs und vom Sandschaufeln ganz ohne Werkzeug gerötet.
Ich beobachtete, wie der erste Wasserschwall ins Meer toste,
schlammig und mit Unrat befrachtet, dann wandte ich mich ab, um nach
Hause zu gehen.
     
    »Habe ich dich gestern abend telefonieren hören, oder
täusche ich mich da?« fragte mein Vater.
    Ich schüttelte den Kopf. »Du täuschst
dich.«
    Wir saßen in der Küche und beendeten gerade unser
Mittagessen, ich mit meinem Eintopf und mein Vater mit seinem braunen
Reis und dem Seegrassalat. Er war mit seinen Stadtklamotten
bekleidet: derben braunen Schuhen, einem dreiteiligen braunen
Tweedanzug, und auf dem Tisch lag seine braune Mütze. Ich sah
auf meine Armbanduhr und stellte fest, daß es Donnerstag war.
Es war äußerst ungewöhnlich für ihn, an einem
Donnerstag irgendwohin zu gehen, sei es nach Porteneil oder weiter
weg. Ich hatte nicht die Absicht, ihn zu fragen, wohin er gehe, da er
mich ohnehin nur angelogen hätte. Wenn ich ihn früher
fragte, wohin er gehe, pflegte er zu sagen ›nach Phicky‹,
was angeblich eine kleine Stadt nördlich von Inverness sein
sollte. Erst nach Jahren und vielen seltsamen Blicken, die ich in der
Stadt erntete, erfuhr ich die Wahrheit.
    »Ich gehe heute aus«, verkündete er mir zwischen
zwei Mundvoll Reis und Salat. Ich nickte, und er fuhr fort: »Ich
werde spät zurückkommen.«
    Vielleicht ging er nach Porteneil, um sich im Rock Hotel zu
betrinken, oder vielleicht führte ihn sein Weg nach Inverness,
wo er öfter Geschäfte zu erledigen hatte, über die er
vorzugsweise Schweigen bewahrte, aber ich hatte den Verdacht,
daß sein Vorhaben irgend etwas mit Eric zu tun hatte.
    »In Ordnung«, sagte ich.
    »Ich nehme einen Schlüssel mit, dann kannst du
abschließen, wenn du willst.« Er legte klappernd Messer
und Gabel auf seinem leeren Teller ab und rieb sich den Mund mit
einer braunen Serviette aus Recycling-Papier ab. »Du darfst nur
nicht sämtliche Riegel vorschieben, in Ordnung?«
    »In Ordnung.«
    »Und du machst dir heute abend selbst was zu essen,
ja?«
    Ich nickte erneut, ohne aufzublicken und weiterkauend.
    »Und du erledigst den Abwasch?«
    Ich nickte erneut.
    »Ich glaube nicht, daß Diggs noch mal hier auftaucht,
aber wenn er kommt, geh ihm aus dem Weg.«
    »Mach dir keine Sorgen«, beruhigte ich ihn und
seufzte.
    »Du kommst also zurecht?« fragte er, bereits im
Stehen.
    »Hm-hm«, sagte ich und putzte dabei den Rest meines
Eintopfs aus dem Teller.
    »Also, ich bin dann weg.«
    Als ich aufblickte, sah ich, wie er sich die Mütze aufsetzte
und sich in der Küche umschaute, wobei er seine Taschen
abklopfte. Er warf mir noch einen Blick zu und nickte.
    Ich sagte: »Mach’s gut.«
    »Ja«, sagte er. »Du auch.«
    »Bis dann.«
    »Ja.« Er wandte sich ab, dann drehte er sich noch einmal
um, schaute sich wieder in der Küche um, schüttelte schnell
den Kopf und nahm auf dem Weg zur Tür seinen Stock aus der Ecke
neben der Waschmaschine und ging hinaus. Ich hörte, wie die
Eingangstür ins Schloß fiel, dann herrschte Stille. Ich
seufzte.
    Ich wartete ungefähr eine Minute, dann stand ich auf,
ließ meinen fast sauberen Teller stehen und ging durchs Haus
ins Wohnzimmer, von wo ich den Weg sehen konnte, der durch die
Dünen zur Brücke führte. Mein Vater stolzierte darauf
von dannen, mit gesenktem Kopf und schnellen Schritten, in einer
großspurigen, wichtigtuerischen Gangart, wobei er seinen Stock
schwenkte. Während ich ihm nachsah, holte er damit aus und
schlug ein paar wilde Blumen ab, die am Wegesrand wuchsen.
    Ich lief die Stufen hinauf, blieb vor dem hinteren Treppenfenster
stehen und sah, wie mein Vater in der Wegbiegung hinter der Düne
vor der Brücke verschwand; dann rannte ich weiter hinauf,
gelangte vor die Tür zum Arbeitszimmer und drehte ruckartig den
Griff herum. Die Tür war verschlossen, sie bewegte sich keinen
Millimeter. Eines Tages würde er es vergessen, aber heute war
nicht dieser Tag.
     
    Nachdem ich
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