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Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere

Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere

Titel: Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere
Autoren: Marina Lewycka
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auf ihrem Tisch.
    »Da?«, antwortet sie und dann rattert sie irgendwas in ihrer unverständlichen Sprache herunter.
    Was hat sie jetzt wieder vor? Andererseits ist so ziemlich alles an ihr unverständlich – oder vielleicht war er nur zu dumm, um sie zu verstehen.
    Als er aufsteht, um zu gehen, hebt sie den Kopf, legt die Hand über die Sprechmuschel und sagt: »Übrigens, Sergej, du bist auch nicht sehr moralisch. Chicken weiß, dass du Trades von Privatkonto machst.«
    Was inzwischen auch ihm klar ist.
    In Zeiten wie diesen braucht man einen Freund, den man anrufen kann, aber die Behindertentoilette ist eine gefühlte Ewigkeit besetzt.
    Als er endlich reinkommt, entdeckt er ein benutztes Kondom, das hinter die Toilettenschüssel gerutscht ist. Ein Glücklicher ist zum Zug gekommen.
    Ottos Stimme am Telefon klingt gewichtiger, weniger nervös als früher. Die Vaterschaft hat ihm Ernsthaftigkeit verliehen.
    »Also, da gibt’s jede Menge Möglichkeiten, wie er sich in dein Konto reinhacken könnte. Was ist mit dem Memory-Stick, den du gefunden hast? Vielleicht hatte der ein Rootkit drauf. Du dachtest, du spionierst ihn aus, aber in Wirklichkeit hat er dich ausspioniert. Hehe.«
    »Scheiße!«
    »Oder er hat einfach dein Passwort geknackt. Dafür brauchtes nur jemanden, der dich beim Eintippen beobachtet, wenn du dich einloggst.«
    »Unmöglich.«
    »Bist du dir sicher? Da kommen doch sicher die ganze Zeit Leute an deinem Schreibtisch vorbei.«
    »Ja, aber ...«
    Du weißt, Sergej, ich nur hier mit Studentenvisum.
    Die Worte explodieren in seinem Hirn. Sie stand genau hinter ihm und hat ihm über die Schulter gesehen, als sie das sagte. Sie hätte seine Finger auf der Tastatur beobachten können. Und er hat irgendwas von Marinekonflikten gefaselt. War das, bevor oder nachdem sie sich geküsst haben? Er kann sich nicht erinnern. Und es spielt ja eigentlich auch keine Rolle mehr. Er spürt einen kalten Griff ums Herz, wie die Hand des Todes.
    »Ja, ich muss mal drüber nachdenken. Danke, Otto. Wie geht’s Flossie?«
    »Bestens. Sie lernt gerade zu lächeln. Auch wenn sie danach meistens spuckt. Eines Tages wird Free Open-Source Software die Welt von Microsoft zurückerobern. Übrigens bekommen wir dauernd Päckchen von Doro. Sie häkelt jetzt in Regenbogenfarben. Hast du ihr das mit deinem Job eigentlich schon gestanden? Molly hat nämlich erzählt, dass sie neulich hier in Cambridge war.«
    »Noch nicht richtig. Aber das tu ich bald.«
    Wobei das vielleicht nicht mehr nötig ist, wenn Molly es für ihn erledigt hat. Vielleicht macht er sich sehr bald auf den Weg nach Brasilien.
    »Kein Stress, Mann. Komm und besuch uns mal wieder.«
    »Klar, mache ich.«
    Als er das Telefon ausschaltet, sieht er einen weiteren entgangenen Anruf von Clara.

Clara
    Planierraupen in der Kleingartensiedlung
    Doro hat sich in ihrem Zimmer eingeschlossen und weigert sich rauszukommen, und Marcus bleibt aus Solidarität auch zu Hause, also bleibt es Clara überlassen, mit Oolie zum Spatenstich ihres neuen Heims zu gehen. Oolie ist vor Freude ganz aus dem Häuschen, und auf dem Weg zur Kleingartensiedlung hopst und schlittert sie durch den Schnee, der bereits zu Matsch wird.
    »Es gibt sechs Zimmer für die Bewohner, und ich krieg mein eigenes Bad und Klo. Das wird toll. Mr. Clemmins hat mir Bilder gezeigt. Und Mum sagt, wenn ich in mein neues Haus ziehe, kann ich ein Bebie haben.«
    Clara dreht sich ruckartig zu ihr um, rutscht aus und muss sich an einem Zaun festhalten. »Hat sie das wirklich gesagt?«
    »Sie hat gesagt, vielleicht, wenn ich brav bin. Und ich werd nämlich ganz brav sein.«
    »Ich habe gedacht, dass du für den Anfang vielleicht gern einen Hamster hättest.«
    »Ja! Ich will ein Hamster!«
    Sie drückt Oolies Hand. Die spontane, allumfassende Begeisterung ihrer Schwester ist eins der Dinge, die sie am meisten an ihr liebt.
    Die Gemüsebeete und Obststräucher sind von einer dünnen Schneeschicht bedeckt, so dass die Gärten aussehen wie einleeres Blatt Papier, auf das man alles Mögliche schreiben könnte. Eine Planierraupe röhrt vor sich hin, wirft Erdhügel auf und ebnet den inneren Bereich ein, wo die Baustelle entstehen wird. Ein paar Kerle mit Schaufeln laden Mutterboden auf einen Lastwagen, an dessen Tür seltsamerweise das SYREC-Logo prangt. Eine Clique von Kindern aus der Greenhills-Siedlung hängt müßig herum und versucht die Männer mit den Schaufeln durch Bemerkungen abzulenken wie: »Hey, Mister, kann ich
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