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Die Weltreligionen. Vorgestellt von Arnulf Zitelmann

Titel: Die Weltreligionen. Vorgestellt von Arnulf Zitelmann
Autoren: Arnulf: Zitelmann
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zu erforschen«.
    Das aber würde eine vollständige Säkularisierung der Heiligen Schriften bedeuten, deren Heiligkeit Islam und Judentum auf
     ihrem Weg durch die Geschichte unter endlosen Opfern verteidigt haben. Der Philosoph aus Amsterdam legte den Schriftreligionen
     ein riesiges Problem vor die Füße, auch dem Buddhismus, besonders aber den Religionen Abrahams. Ich sehe nicht, dass sich
     die Theologen des Islam oder des Judentums dieser Herausforderung bisher ernsthaft gestellt hätten. Verständlicherweise: Eine
     Entheiligung ihrer Heiligen Schriften würde beide Religionen bis in ihre Fundamente erschüttern.
    Das Christentum befindet sich in einer unkomplizierten Position. Seine Theologen haben zwar auch die Schriften des Neuen Testaments
     heilig gesprochen, |198| doch nicht so bedingungslos wie die Juden die Tora und die Muslime den Koran. Nie haben christliche Theologen im Ernst behauptet,
     Gott spreche zu ihnen im O-Ton. So weit konnten sie sich nicht vorwagen. Selbst die Jesusworte liegen den Christen doch nur
     in Übersetzung vor. Denn Jesus sprach aramäisch, das Neue Testament ist aber in griechischer Sprache zur Welt gekommen. Da
     konnte man schlecht auf Buchstaben oder einzelne Worte pochen. Es gab bei der Schrift-Interpretation immerzu Ermessensspielräume.
     Zum Glück! Wie viele Ketzer wären sonst noch verdammt und verbrannt worden! In der Tora, im Koran spricht Gott im Original-Ton,
     und zwar auf Hebräisch beziehungsweise in arabischer Sprache. Das ist im Neuen Testament nicht der Fall.
    Christen müssen die Wahrheitsfrage deswegen bescheidener angehen. Entsprechend heißt es bei Paulus: »Das Deuten von Zukunft
     endet, das Reden in Ekstase hört auf, alle Erkenntnis wird hinfällig werden. Denn was wir erkennen, ist widersprüchlich, und
     widersprüchlich ist unser Wissen um Zukunft. Erst wenn das Endgültige wahr wird, findet auch das Widersprüchliche sein Ende.«
     Und er zieht daraus die Schlussfolgerung: »Bis dahin bleibt es beim Glauben, Hoffen, Lieben, diesen dreien. Am größten davon
     ist die Liebe.« Anders als Judentum und Islam kann das Christentum also seinen Glauben nicht als ultimative Wahrheit ausgeben.
     Im 18. Jahrhundert umschrieb Lessing den Sinn der christlichen Botschaft durchaus korrekt, wenn er meinte: Würde Gott ihn
     zwischen seiner Linken und seiner Rechten wählen lassen, zwischen dem Streben nach Wahrheit und deren völligem Besitz – »ich
     fiele ihm in Demut in seine Linke und sagte: Vater gib! Die reine Wahrheit ist doch nur für dich allein!« So teuer war ihm
     die Wahrheit, dass der große Aufklärer nur in aller Demut von ihr sprechen mochte.
    Das »Wort Gottes« kann nach christlichem Verständnis nur der »Sohn Gottes«, Christus, alleine sein. Bote und Botschaft sind
     eins. Ein christlicher Fundamentalismus, der sich an den Buchstaben der Bibel aufhängt, wäre so gesehen ein Widerspruch in
     sich selbst. »Buchstaben töten, es ist der Geist, der lebendig macht«, lesen wir bei Paulus. »Wir haben diesen Schatz in irdenen
     Gefäßen.« Hier spielt er darauf an, dass man die Schriftrollen damals in Tonkrügen aufbewahrte. Und die waren zerbrechlich.
     »Gott und die Bibel sind zweierlei«, lehrte auch Luther. Es ist demnach nur konsequent, wenn das neuzeitliche Christentum
     Spinoza in Ehren hält. Die kritische Bibelwissenschaft ist längst zum unentbehrlichen Bestandteil der christlichen Theologie
     geworden, zuerst in der protestantischen, dann in der katholischen Kirche. Hinter Baruch de Spinoza kann die Theologie nicht
     wieder zum Buchstabenglauben zurück.
    |199| Damit bin ich bei den strittigen Fragen, die zwischen Muslimen und Christen zu verhandeln sind. Sie betreffen fast ausschließlich
     die so genannte Christologie, die Lehre von der Person des Jesus Christus. Darüber hinaus kommt in beiden Theologien ein ganz
     verschiedenes Weltverständnis zum Ausdruck.
    Die unterschiedliche Welterfahrung der Bibel und des Korans wollen wir uns an einem Koran-Vers klarmachen. In der Hebräischen
     Bibel, deren Weltverständnis das Neue Testament übernommen hat, heißt es bei der Erschaffung Adams: »Jahwe Gott formte aus
     dem Erdboden die Landtiere und die Vögel und brachte sie zu dem Menschen, um zu sehen, wie Adam sie nennen würde. Genauso
     sollten sie dann auch heißen.« Im Koran liest es sich anders. Da ist es Allah, der bei der Schöpfung des Menschen »Adam alle
     Namen lehrte«. Das bedeutet, zugespitzt: In der Bibel lernt
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