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Die Welt ist nicht immer Freitag

Titel: Die Welt ist nicht immer Freitag
Autoren: Horst Evers
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voraus in die Steuerunterlagen, finde als erstes den Tisch, renne dagegen, falle drauf, Gläser, Tassen klirren, will ihnen ausweichen, indem ich mich vom Tisch abrolle, rolle durch die Scherben, fliege ganz kurz und schlage dann auf dem Boden auf. Das Klingeln wird lauter, ich muß dicht dran sein. Stehe auf und stochere mit meinem Pizzafuß hektisch durch die Unterlagen. Mein großer Zeh erwischt die Schreibtischkante volley, schreie auf, hüpfe auf einem Bein, verliere das Gleichgewicht, stürze erneut und donnere mit dem Kopf gegen das Telefon. Super. Endlich gefunden. Geht doch. Man muß nur systematisch vorgehen. Ich hebe ab.
    - Ja hallo?
    - Ja, guten Abend, hier ist Marker, CreaTV-Fernsehproduktionen. Sie haben sich bei uns als Probekandidat für Testsendungen von neuen Showformaten beworben?
    - Äh, ja.
    - Gut. Schön, daß ich Sie endlich erwische, ich hab schon 14mal angerufen. Arbeitstitel der Show ist Big Doctor, Zielpublikum: Mediziner und medizinisch Interessierte. Ihnen werden neun Ultraschallsonden eingepflanzt, die rund um die Uhr das Zusammenleben ihrer inneren Organe im Körper abfilmen. Das wird dann übertragen. Damit's interessant bleibt, gibt's von Zeit zu Zeit kleine Herausforderungen für ihre Organe, mal ein wenig verdorbener Fisch, mal ein kleines Stück Metall mit den Logos unserer Werbepartner, Sie verstehen. Und alle zwei Wochen können die Zuschauer dann abstimmen, welches innere Organ sie am meisten gelangweilt hat. Das muß dann raus. Klar. Haben Sie Interesse?
    - Äh, naja, kann man da was gewinnen?
    - Klar, eine geschmackvolle Vitrine für ihre Organe und die Ultraschallsonden dürfen Sie behalten.
    Lasse mich auf die Liste eintragen und lege auf.
    Dann robbe ich zur Wand. Tapse mit der Hand auf den Schalter der Stehlampe. Plötzlich kann ich alles sehen. Ich werfe einen kurzen Blick auf das Gewölle aus Quittungen, Kaffee, Pizza und Blut, und falle dann in Ohnmacht.
    Die nächsten zwei Tage verbringe ich damit, kurz zu mir zu kommen, das Chaos zu sehen und gleich wieder in Ohnmacht zu fallen. Das mache ich alles in allem 16mal. Bis das geschieht, was man später das Wunder der Wrangelstraße nennen wird. Nach der 17ten Ohnmacht stehe ich plötzlich auf und gehe die Sache an. In einer 72stündigen Aufräumaktion erledige ich nebenbei auch meine Steuererklärungen der letzten drei Jahre. Eine absolute Extremerfahrung, die ich mir so nie zugetraut hätte, und von der ich noch lange zehren werde. Ja, es gibt noch echte Wunder, man muß sie sich nur zumuten.

    Epilog:
    3 Wochen später. Seit zwei Tagen traue ich mich nicht mehr in meine Wohnung. Denn dort hängen ca. 60 bis 70 Zettel auf denen immer dasselbe steht: »Mensch Horst, jetzt bring endlich mal die fertigen Steuererklärungen zum Briefkasten. Hopp! Hopp! Hopp! Wird's mal bald. Jetzt mal los, los los!!! Koooomm!!!«

KRANKHEIT
UND VERDERBEN
Schlimmer Bauch
    Mitten in der Nacht geht's los. Bauchschmerzen. Ich denke:
    »Oh, grimmes Weh durchwehst die Eingeweide grausam greulich, zeigst garstig abscheulich dein fäulig Antlitz, färbst bläulich, gräulich mein Haupt und ich denk, da heul ich am besten gleich los.« Ich versuche Schmerz meistens mit Lyrik zu bekämpfen. Da das nicht klappt, beschließe ich dann eben zu jammern, aber möglichst würdevoll, nicht so mimosenhaft, kleinkindmäßig, sondern mehr jammern wie ein Mann: »Oh ha, oh ha oh ha, jungejungejunge, das ist gar nicht gut.« Das funktioniert allerdings auch nicht.
    Mit letzter Kraft wähle ich Bovs Nummer.
    - Ja?
    - Hallo Bov, hier ist Horst. Bov, ich bin sehr krank, oh oh, au ha auha.
    - Was? Sag mal, weißt du, wie spät das ist?
    - Bov, ich sagte, oh oh, auha auha.
    - Es ist halb vier Uhr morgens!
    - Halb vier, eine gute Zeit zum Sterben.
    - Ach so, ist das alles?
    - Nein, du mußt kommen und mich gesund pflegen.
    - Ich werde nicht kommen.
    - Es ist doch nur zu deinem Besten. Wenn ich morgen früh aufwache und tot bin, machst du dir sonst Vorwürfe.
    - Nein, Horst, ich tu's nur für dich. Wenn ich mitten in der Nacht zu dir käme und feststellen würde, daß du gar nicht im Sterben liegst, müßte ich dich nämlich leider dafür erschlagen.
    Er legt auf. Dieser gefühllose Unmensch. Das wird er mir büßen. Ich lösche seine Nummer aus meinem Festnummernspeicher am Telefon. Das wird ihm eine Lehre sein. Dann rufe ich neun andere Freunde an, damit sie kommen und mich pflegen. Nach dieser Aktion ist mein Festnummernspeicher komplett leer gelöscht und ich habe
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