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Die Welt der grünen Lady

Die Welt der grünen Lady

Titel: Die Welt der grünen Lady
Autoren: Andre Norton
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Zeit für gekommen, mich zu zeigen.
    »Bartare!« Ich trat aus dem Schatten.
    Sie fuhr herum und glitt mit ihren Füßen von dem Kristallstein, auf dem sie gestanden hatte. Ihre Augen glitzerten wie die eines in die Enge getriebenen Tieres, und ihre entblößten Zähne sahen aus, als wollten sie zuschnappen.
    Durch ihre Bewegung befand sie sich jetzt außerhalb der Warnzone des Torschutzes, und sowohl der Alarmsummer als auch das Kraftfeld verstummten. Sie blieb jedoch stehen, wo sie war und wartete, bis ich zu ihr kam. Mit beiden Armen drückte sie fest an sich, was sie da hielt, als müßte es unbedingt geschützt werden. Und jetzt sah ich, daß es eine jener geschnitzten Puppen war, wie einfache Landbewohner sie zum Schutz gegen die Mächte der Dunkelheit in ihren Küchen aufstellen. Die Puppe war, wie sie selbst, in ein dunkelgrünes Gewand gehüllt.
    »Bartare …« Ich wußte nicht recht, was ich sagen sollte. Und ich war sicher, daß sie mir keine Fragen beantworten würde. Vielleicht würde ich eher ihr Vertrauen gewinnen, wenn ich jetzt nicht in sie drang. »Bartare, findest du nicht, daß es Zeit ist, schlafenzugehen …« Das klang sehr schwach, und niemand wußte es besser als ich.
    »Geh du doch schlafen!« gab sie zurück. »Die anderen schlafen alle …« Mit einer leichten Kopfbewegung deutete sie zu den Zimmern ihrer Mutter und ihres Bruders hin. »Warum schläfst du nicht?« Die Tatsache, daß ich hier draußen stand, schien sie zu beunruhigen.
    »Ich weiß es nicht. Vielleicht, weil dies die erste Nacht auf einer fremden Welt ist …«, erwiderte ich.
    »Alle Welten sind fremd – wenn man genau hinsieht.«
    Ich nickte. »Das ist wahr, denn niemand kann durch die Augen eines anderen blicken und genau das sehen, was er sieht. Nimm diese Blume …« Ich bückte mich und berührte eine kelchförmige Blüte in einem der Beete. »Für dich ist es vielleicht auch ein Blume, und dennoch siehst du sie möglicherweise anders als ich …« Ich hielt unvermittelt inne, denn die Blüte, die ich berührt hatte, veränderte sich auf beängstigende Weise. Sie war von zarter Elfenbeinfarbe gewesen, und nun verbreitete sich von der Stelle, die meine Finger nur ganz leicht berührt hatten, ein dunkler, häßlicher Fleck. Die Blume verwelkte, zerfiel und starb vor meinen Augen, als hätte meine Berührung sie vergiftet und getötet.
    Bartare lachte laut auf. »Ich sehe eine tote Blume. Was siehst du, Kilda? Ist es das gleiche? Siehst du, wie der Tod aus deinen Fingern kommt?«
    Vielleicht war es eine Halluzination, aber wie sie zustande gekommen war, konnte ich mir nicht erklären. Jedenfalls war es bedrückend. Ich klammerte mich an den Gedanken, daß es sich vielleicht um eine so zarte Blüte handelte, daß jede Berührung eine solche Wirkung hervorrief. Es gab solche empfindlichen Pflanzen, obgleich ich noch nie eine so drastische Veränderung gesehen hatte.
    »Siehst du den Tod oft, Kilda? Zum Beispiel in Spiegeln?« In diesem Augenblick war ich sicher, daß Bartare nicht nur wußte, was geschehen war, sondern auch warum und wie. Und diesmal konnte ich die Fragen nicht zurückhalten.
    »Warum, Bartare, warum?«
    Wieder lachte sie, schrill und ein wenig grausam. »Warum? Weil du siehst und hörst, was dich nichts angeht, Kilda, und weil du zuviel wissen willst. Willst du in andere Spiegel schauen, Kilda, und dort immer nur sehen, was du nicht sehen willst? Es gibt noch andere Dinge, die geschehen können – schlimmere Dinge als nur ein Spiegelbild.«
    Sie wandte sich von mir ab und blickte über den mondbeschienenen Hof. Ihre nächsten Worte galten nicht mir; sie schien sie in die leere Luft hineinzusprechen. »Siehst du?« fragte sie. »Kilda ist nicht mehr als die übrigen. Es besteht kein Grund, sie weiter zu beachten.«
    Sie horchte, als erwarte sie eine für mich unhörbare Antwort. Dann trat sie ein, zwei Schritte zurück, und der überlegene, triumphierende Ausdruck schwand von ihrem Gesicht. Ganz plötzlich fiel diese beunruhigende Reife von ihr ab, als hätte ein Tadel ihr Selbstbewußtsein gedämpft, und nun reagierte sie wütend wie ein ganz normales kleines Mädchen. »Ich hasse dich!« schrie sie. »Wenn du mir nochmal nachspionierst, wird es dir leid tun! Du wirst es sehen!«
    Sie lief davon, ohne darauf zu achten, auf welche Steine sie trat, nur darauf bedacht, ihr Zimmer zu erreichen. Einen Augenblick später schloß sich die Tür hinter ihr.
    Ich blieb noch eine Weile stehen und blickte über den
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