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Die Wellenläufer 02 - Die Muschelmagier

Die Wellenläufer 02 - Die Muschelmagier

Titel: Die Wellenläufer 02 - Die Muschelmagier
Autoren: Kai Meyer
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hinaus in diesen Abgrund aus zeitloser Schwärze und Meerestiefe.
    Blickten hinaus auf das Mare Tenebrosum.

Brücke aus Feuer

    Jolly fühlte sich, als hätte man sie an den Füßen gepackt und auf den Kopf gestellt. Sie fand kaum noch Halt an dem Holzgitter der Brücke. Ihr Körper bebte und schwankte, und ihr Verstand schien sich in einem verwirrenden Nichts zu verlieren.
    Griffin hielt ihre Hand (oder hielt sie die seine?), aber die Finger fühlten sich kalt an, als sauge die Leere über dem endlosen schwarzen Ozean ihnen alle Kraft aus, um damit seine eigenen, schauderhaften Wesenheiten zu beleben.
    Blitze zuckten in der Ferne über dem schäumenden Wasser, über einem Horizont, der auf absurde Weise viel weiter entfernt zu sein schien als jener in ihrer Welt. Vielleicht war die Welt des Mare Tenebrosum nicht gebogen wie ihre eigene, oder aber hier war einfach alles gewaltiger. Die Entfernungen, die Dunkelheit, die Wellenberge. Die Lebewesen.
    Jolly und Griffin standen immer noch da, unfähig, sich zu rühren. Und wohin sollten sie auch gehen? Die Brücke führte etwa dreißig Schritt weit abwärts, dann verschwand sie in den tranigen Wogen des Mare Tenebrosum, umspült von schwarzer Gischt und umrundet von riesenhaften Schatten, die in engen Kreisen um den Fuß des Bauwerks glitten. Manchmal kam es Jolly so vor, als hörte sie zorniges Gebrüll, lang gezogen und dumpf, als würden unter der Oberfläche Rufe und Schreie ausgestoßen. Dabei war der Lärm der Wellen selbst schon ohrenbetäubend. Und erst der Wind, der um das hölzerne Gitter fegte - er seufzte und kreischte, und manchmal schien er auch zu flüstern: Worte in fremden Sprachen, kalt und abscheulich.
    Es roch nach fauligem Seetang und Algen, durchmischt mit dem Gestank toter Fische. Aber da war noch ein anderer Geruch, etwas, das Jolly nicht auf Anhieb erkennen konnte.
    »Vanille«, sagte Griffin, als hätte er gespürt, was ihr durch den Kopf ging. Vielleicht hatte sie ihren Gedanken auch laut ausgesprochen, ohne es zu bemerken. »Es riecht nach Vanille.«
    Sie nickte stumm, weil sie Angst hatte, ihre Stimme könne ebenso kläglich klingen wie seine. Das Süßliche inmitten all dieser scheußlichen Ausdünstungen machte den Geruch noch unerträglicher. Es erinnerte sie an die Möglichkeit von etwas Schönerem, Besserem, das an diesem Ort auf einen Schlag unerreichbar geworden war.
    »Wir können nicht weitergehen«, brachte Griffin hervor. Jedes Wort kam nur mit Mühe über seine Lippen, behäbig wie Schnecken, die aus seiner Kehle emporkrochen.
    Immer noch war hinter ihnen keiner der Klabauter aufgetaucht. Die Brücke war leer, ein endloser Bogen, der sich irgendwo in der Schwärze auflöste. Aber jedes Mal, wenn dort hinten Blitze zuckten, sahen sie, dass die Brücke sich tatsächlich in die Unendlichkeit fortsetzte, dünn wie ein Faden, dünn wie das feinste Haar, aber doch noch zu erkennen, so als wären alle Regeln der Sichtweite aufgehoben. Der Blick reichte in dieser Welt ins Endlose. Reichte er auch hinaus in die Zeit, in die Vergangenheit und Zukunft? War das Mare Tenebrosum tatsächlich ein Urozean am Anbeginn der Zeiten und zugleich jener Zustand, zu dem alles irgendwann zurückkehren würde?
    Sie standen noch da und überlegten, was sie tun sollten, hielten sich dabei fest an den Händen, verstört, verwundert, überwältigt von der schieren Andersartigkeit dieses tiefschwarzen Ozeans . standen noch da und fanden sich mit ihrem Ende ab .
    . als die Brücke vor ihnen Feuer fing.
    Flammen schossen zwischen den Balken empor. Die plötzliche Helligkeit schmerzte in ihren Augen. Eine Hitzewelle fauchte über sie hinweg.
    Die Brücke brannte!
    Die dunkle Gischt am Fuß der Holzkonstruktion wich zurück wie ein Lebewesen und formte einen Krater aus Wasser. Zugleich ertönte ein Kreischen aus den Tiefen der See, nicht mehr von den unsichtbaren Wesen dort unten, nicht einmal von den geheimnisvollen Meistern dieser Welt, sondern vom Mare Tenebrosum selbst. Turmhohe Fontänen spritzten in die Luft, merkwürdig langsam, als erstarrten sie in der Zeit, bildeten wundersame Muster in der Schwärze und sackten dann schwerfällig in sich zusammen. Einmal sah die Gischt fast so aus wie ein riesenhaftes Maul, mit Fangzähnen aus Wasser, das sich rund um die Brücke öffnete und dann in sich zusammensackte.
    Währenddessen schlugen die Flammen am Fuß der Brücke immer höher, krochen auf den Planken entlang wie glühende Ameisenschwärme, verzehrten in
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