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Die Weiterbildungsluege

Titel: Die Weiterbildungsluege
Autoren: Richard Gris
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einem
     IT-Unternehmen. Denn immer wenn es um die Gewinne des Unternehmens nicht so gut stehe, werde Mitarbeiterqualifizierung eingeschränkt
     oder abgebaut. Auch der Personalleiter einer Versicherung weiß: »In Sparzeiten wird Weiterbildung gekappt, da nicht sicher
     ist, ob der Mitteleinsatz einen Return on Investment bringt.«
    Deshalb entfalten die Personalentwicklungsabteilungen in großen Unternehmen ein merkwürdiges Eigenleben. Der Personal und
     Organisationsentwickler aus einem großen Unternehmen der Informations- und Kommunikationstechnologie verriet mir: »Man muss
     dafür sorgen, dass neue Programme entwickelt werden, und diese dann der Geschäftsleitung verkaufen. Der Bedarf der Geschäftsleitung
     ist nicht immer unbedingt da. Man stößt viel aus Eigeninteresse an und nicht im Geschäftsinteresse.« So war ein Fortbildungsprogramm
     für Projektmanager deshalb in Gang gekommen, weil die Personalentwicklungsabteilung einen Bedarf aus einzelnen Äußerungen
     ableitete. Einige Projektleiter fühlten sich überfordert und wünschten sich daher ein Coaching. Dieses Wort sei für Personalentwickler
     positiv besetzt. Kurzerhand wurden für eine solche Veranstaltung Leute angesprochen und gewonnen. »Wenn man alles richtig
     macht, kommen neu kreierte Angebote gut an und bringen eine erhöhte Akzeptanz für die |17| Personalentwicklung und wiederum eine Bestätigung für deren Daseinsberechtigung«, erklärte mir der promovierte Physiker mit
     hinreißendem Grinsen.
    Diese Tricks kennt auch der Bereichsleiter Personalentwicklung eines Unternehmens für Anlagenbau. »Besonders in großen Konzernen
     wird viel für die Galerie gemacht. Man muss schon immer wieder eine Sichtbarkeit zeigen und sich mit Projekten gut verkaufen.«
     Die Rolle der Personalentwicklung und die Frage, wie deren Mitarbeiter sich im Unternehmen besser vermarkten und positionieren
     können, ist ein viel diskutiertes Thema. Auch in der Fachpresse. Im Jahr 2004 erschien ein Artikel in
manager-Seminare
, der mit den Worten startete: »Zunehmende Dynamik, wachsende Internationalisierung, permanenter Wandel – die Herausforderungen,
     die Unternehmen in Zukunft bewältigen müssen, bilden für Personalentwickler eine große Chance: Sie können endlich raus aus
     der Verwaltungsecke und zum Strategiepartner des Top-Managements werden.« 10 Ein Hoffnungsschimmer für die geschundene Spezies der Personalentwickler. Wie Verdurstende nach Wasser lechzen sie nach Einfluss
     und Aufwertung der eigenen Arbeit. So ist auch die Forderung erklärlich, dass Personalentwicklung (PE) direkt unterhalb der
     ersten Ebene als leitende Stabsabteilung etabliert werden müsse. Der amerikanische Trainingsverband ASTD mit 70 000 Mitgliedern
     in 100 Ländern spricht sich sogar für die Schaffung eines neuen Vorstandspostens, den Chief Learning Officer (CLO), aus. 6 Das würde der Trainerszene Aufträge sichern.
    Der sonst so menschenfreundlich orientierte Personalentwickler mutiert in diesen Zeiten zu einer bösen, drahtigen Kampfmaschine,
     um die Gunst der Geschäftsführung zu gewinnen. Eine Personalentwicklerin aus der Finanzdienstleistungsbranche berichtete mir,
     dass sich die Kollegen darüber streiten, wer den Bericht für den Vorstand schreibt und wessen Name darunter steht. Dieses
     merkwürdige Treiben erwachsener Menschen mutet noch seltsamer an, wenn man dem Wort »Personalentwicklung« auf |18| den Grund geht. Allein durch diesen Begriff wird schon deutlich, warum Weiterbildung nicht funktioniert. Im Kern bedeutet
     er doch, dass dem Mitarbeiter etwas fehlt und er deshalb entwickelt werden muss. Irgendjemand kommt daher und meint zu wissen,
     was die Person braucht: Ein Geschäftsführer, der eigene Chef, ein Human-Resources-Manager, ein Personalentwickler, ein Weiterbildungsträger,
     ein Trainer, ein Consultant oder eine Fachzeitschrift. Und warum meinen sie das? Sie wollen alle mehr verkaufen. Und sie sind
     überzeugt, dass man eine Person mit Systematik und Zielorientierung in eine ganz bestimmte und gewollte Richtung entwickeln
     kann, damit das Unternehmen am Markt überlebt beziehungsweise profitabler wird.
    Das Paradoxe an dem Begriff Personalentwicklung ist also, dass er suggeriert, man könne von außen daherkommen und beliebig
     das entwickeln, was gerade gebraucht wird. Firmen erwarten menschliche Chamäleons, die sich zurechtbiegen lassen wie Lakritzestangen.
     Und so sieht dann auch die Praxis aus. Da wird entwickelt, bis der
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