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Die Weite fühlen - Solèr, P: Weite fühlen

Die Weite fühlen - Solèr, P: Weite fühlen

Titel: Die Weite fühlen - Solèr, P: Weite fühlen
Autoren: Pia Solèr
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sein.
    Oj, habe eingeheizt und mich gefragt, warum es nicht brennt. Na, wenn ich den Kamin nicht öffne, geht es nicht. Dafür ist jetzt Rauch in der Küche.
    Noch eine Herausforderung: Treuia wird läufig, was soll ich tun? Orsus, ihr Bruder, ist ein Rüde, und wir sind immer zusammen. Welpen vom Bruder? Wohl nicht so ideal, obwohl beide Stammbäume haben.
    Kinder haben grosse Freude an den Ziegen, sie wollen immer wieder mit mir und den Ziegen los. Für mich ist das gar nicht so einfach, denn das Gebiet ist steil, und die Ziegen sind unberechenbar. Man weiss am Morgen nie, wohin der Tag führt. Einmal, es war neblig und regnerisch, besuchte mich Simon auf der Ziegenalp. Er war ein wenig kränklich, und ich war froh, dass er sich entschied, beim Senn Gabriel in der Hütte zu bleiben. Ich zog mit Mara, die noch ein Welpe war, und Senta, der arbeitenden Hündin, zu den Ziegen. Sie grasten an der Grenze bei der Lärche. Ich stieg hoch und sass auf einem Stein unter den Felsen. Weil ich da war, blieben die Ziegen ruhig. Plötzlich hörte ich ein Donnern über mir. Ich schaute hinauf und sah, wie sich ein Stück Fels gelöst hatte, die Steine breiteten sich trichterförmig aus und kamen direkt auf uns zu. Hilfe, ich rannte in Richtung Tal, die Hunde vor mir. Natürlich waren wir nicht so schnell wie die riesigen Steine, die an uns vorbei donnerten. Es war Wahnsinn. Hätte uns so eine Platte erwischt, wären wir in zwei geteilt gewesen. Endlich beim Bach angelangt und die andere steile Flanke rauf. Wir waren in Sicherheit, und kaum zu glauben: Kein einziger Stein hatte uns getroffen. Ich zitterte am ganzen Leib und dankte von Herzen, dass wir der Gefahr heil entkommen waren und dass Simon nicht dabei war. Hunderte von Malen bin ich diesen Weg gelaufen, und nie hat sich nur ein Stein gelöst. Noch heute, wenn ich davon erzähle, komme ich ins Zittern. Steinschlag ist unberechenbar – da kann man nur auf die Schutzengel hoffen.
    Ein anderes Mal hatten die Ziegen nur eines im Kopf. Nämlich auf die Rinderalp, die an unserer Grenze liegt, abzuhauen. Ich musste die langsameren hinauf treiben und sah schon, wie die ersten, hoch oben auf dem steilsten Hang, in Richtung Rinderalp zogen. Ich beeilte mich, nahm alle meine Kräfte zusammen, aber wusste auch, dass ich es nicht schaffen würde, vor ihnen oben zu sein. Also rief ich die Geister. Ich hatte eben ein Buch darüber gelesen. Da, genau auf der Grenze, erschienen zwei riesige Vögel, es waren keine Adler. Sie flogen so niedrig, dass die Ziegen erschreckten und sich kehrten. Ich war baff, die Vögel waren ganz schwarz, und ich kam rechtzeitig oben an, bis die Ziegen den zweiten Versuch machten. Ganz benommen und glücklich über diesen Zauber lief ich am Abend mit der Herde zurück zur Alphütte und sagte zum Senn Gabriel, heute hab ich zwei Vögel gesehen, die es nicht gibt. Wir entschieden dann, dass es zwei Kolraben waren. Bei den Indianern sind sie die Verbindung zum Jenseits. Also gibt es heute noch Wunder auf unserer Erde. Die Erklärung bleibt aus.
    An einem Abend, früh im Sommer auf der Schafalp. Ich war in der unteren Hütte, schaute aus dem Fenster hinüber zur Schafweide. Oben hatte ich einen Zaun gezogen. Was ist damit los? Mit dem Fernglas sehe ich, wie eine Gemse sich darin verfangen hat. Oh nein. Mein Vater und Emil waren auch da. Sie meinten, ich solle schlafen gehen und morgen schauen. »Wenn ich bis morgen warte, ist sie bestimmt tot. Nein, ich steige hoch.« Nehme ein Messer und Stricke mit mir. So schnell, wie meine Lunge es zulässt, steige ich runter zum Bach, über die Brücke und den steilen Hang hinauf. Auf dem Weg treffe ich noch ein Lamm an, das Durchfall hat, trage es hoch, bis es seine Mutter sieht, danach läuft es alleine. Weiter bis zum Zaun. Alles ist ruhig. Hat die Gemse sich befreit? Nein, sie ruht sich nur aus. Zum Glück ist es eine Gämsgeiss, die ist nicht so gross und stark wie ein Bock. Und jetzt? Sie bemerkt mich, und schon geht der Kampf mit dem Zaun erneut los. Ihre Krücken sind vom Zaun umwickelt. Ich fasse den Zaun und ziehe sie näher an mich heran. Die Gemse ist in Panik, macht Sprünge über mich hinaus. Ich lasse den Zaun nicht los, bis sie ganz nah ist. Irgendwie schaffe ich es, sie unter meinem Körper festzuhalten, nun aber ist ein Draht um ihren Hals, sie steckt schon die Zunge raus und kriegt keine Luft. Nein, bitte stirb jetzt nicht. Ich hole das Messer aus dem Hosensack und schneide den Draht. Geschafft, sie lebt
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