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Die Weite fühlen - Solèr, P: Weite fühlen

Die Weite fühlen - Solèr, P: Weite fühlen

Titel: Die Weite fühlen - Solèr, P: Weite fühlen
Autoren: Pia Solèr
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Fotoapparat. Ich schwitzte und war eben dabei, den Schlitten mit den drei Heuballen das steile Stück hinaufzuziehen. Es ging gar nicht gut, ich hatte zuviel geladen. Beim Anblick der Touristen mit dem Fotoapparat ging mir die Galle hoch. Der Mann merkte dann doch, dass es vielleicht höflicher wäre, mir mit Stossen zu helfen.
    Auf der Ziegenalp kauften die Touristen oft Käse bei der Hütte, das war natürlich gut, und oft gab es interessante Begegnungen. Doch wenn ich am Abend müde und halb verwildert vom Berg, meistens barfuss, mit der Herde zur Hütte kam, standen Touristen in der Reihe mit Fotoapparaten. Ich fühlte mich wie eine Gemse, schlich schnell in die Hütte, zog Stiefel an und verschwand im Stall, um die Ziegen anzubinden. Danach waren manche Touristen oft noch da und wollten zusehen, wie wir die Ziegen molken.
    Leo Tuor, mein Lieblingsautor, ist auch ein Bergmensch. Er war mal Schafhirt. Ich fühle mich daheim in seinen Büchern. Sein neuestes, auf Romanisch erschienene Buch liegt bei mir auf dem Tisch: »Catscha sil capricorn en Cavrein« (Steinbockjagd in Cavrein). Das Schlusswort finde ich sehr schön: »Tegn mei en buna memoria e pren mes meinis buca pèr la sontga scartira. Scriva si empau da quei che nus vein trafficau, ed empau metta vitier.« – »Behalte mich in guter Erinnerung und nimm meine Meinungen nicht als die Heilige Schrift. Schreibe etwas auf, was wir gemacht haben, und lege etwas hinzu.«
    Romanisch ist eine sehr schöne Sprache und sehr hilfreich, um andere lateinische Sprachen zu lernen. Ich rede und denke in Romanisch, warum schreibe ich eigentlich auf Deutsch? Ganz einfach, weil meine Kontaktpersonen deutschsprachig sind.
    Die Jagd ist auch für mich ein Thema, obwohl ich keine Jägerin bin. Ich esse auch sehr gerne Wildfleisch, vor allem Murmeltier. Im Herbst, wenn es losgeht, bin ich im Fieber wie eine Jägerin. Versuche dann die Jäger mit dem Feldstecher zu finden und zu sehen, was so läuft. Ein paar Male war ich ganz nah dabei. Das Wild merkt, ob du Hirte oder Jäger bist.
    November, minus 16 Grad, die Kälte beisst in die Wangen, der Schnee knirscht unter den Füssen, klarer blauer Himmel. Bis die Sonne kommt, wird es Mittag.
    Als ich die Ziegen hütete, lief ich oft auf der Seite des Hangs entlang, wo ein Wanderweg auf die Greinaebene führt. Die Ziegen erkennen genau, ob ich dort gehe oder ein Wanderer, das erstaunt mich immer wieder. Kamen wir am Abend vom Berg herab, liefen die Ziegen viel schneller als ich, aber bevor sie über die kleine Brücke zum Stall liefen, warteten sie auf mich.
    Über 1000 Schafe und so ein Frieden – das hat mich im ersten Sommer auf der Schafalp am meisten beeindruckt. Die Ziegen sind ganz anders. Sie sind immer am Zanken. Die Hierarchie! Vor allem am Anfang wird gekämpft, bis jede ihren Platz in der Herde hat. Danach sind immer die gleichen vorne, die Führerinnen und zuletzt die langsameren. Auch bei meinen acht Ziegen ist es nicht anders. Da wird gezankt, bis endlich eine sagt, okay, ich bin die Schwächste.
    Einmal lief ich zum Diesrutpass hoch, es war Herbst, auf den Kuh- und Rinderalpen waren schon keine Menschen und Tiere mehr. Die Ziegen durften nun dort grasen. Und auch für mich war es eine schöne Zeit, denn es gab nicht mehr viel zu melken, und ich hatte Zeit zum Wandern. Ich wollte zu dem markanten Stein, den ich von der Ziegenalp oft beobachtet hatte. Von dort aus sah er wie ein Daumen aus. In Gedanken versunken blickte ich zu Boden. Da hob ich den Kopf und sah, wie mich Steinböcke ganz in der Nähe beobachteten. Nun wollte ich wissen, wie nahe ich auf sie zukommen durfte. Sie flohen nicht, doch plötzlich stampfte einer mit dem Huf. Opla, wenn der mit seinen grossen Hörnern auf mich zukommt, bin ich platt. Ich respektierte das Warnsignal und blieb stehen. Dann zogen sie weiter hinauf, und ich stand bald vor dem Stein. Er war viel grösser, als ich ihn mir vorgestellt hatte und aus der Nähe sah er wie ein riesiges Murmeltier aus.
    Im November ist es ruhig im Dorf. Die Weihnachtslichter sind noch nicht angebracht. Nur im Laden kann man schon im Oktober Samiklauskuchen kaufen. Als ich ein Kind war, sah man erst am Heiligabend die ersten Weihnachtslichter, das war so schön, das hat mich total gefreut. Jetzt sind die Lichter viel früher da und bis Weihnachten ist nichts Neues mehr.
    Deutsche Sprache, schwierige Sprache – für uns romanisch Orientierte. In der Schule lernen wir Schriftdeutsch und, zack, nach der Schule
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