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Die Weite fühlen - Solèr, P: Weite fühlen

Die Weite fühlen - Solèr, P: Weite fühlen

Titel: Die Weite fühlen - Solèr, P: Weite fühlen
Autoren: Pia Solèr
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sollen wir Schweizerdialekt beherrschen. Als ich die Lehre als Musikverkäuferin machte, musste ich für eineinhalb Stunden Unterricht nach Zürich reisen. Ich war schüchtern und hatte Panik, mich der Klasse vorzustellen. Und prompt lachten alle.
    Jetzt zieht ein Bauer mit seinem Vieh durch den Weiler. Ganz still, er hat alle Glocken entfernt, trotzdem hat Treuia die Tiere bemerkt und bellt. Ihre Läufigkeit ist auf dem Höhepunkt, aber da es Border Collies sind, kann ich gut mit ihr und dem Rüden zusammen laufen gehen. Sehen sie Ziegen, Schafe oder Kühe, vergessen sie alles andere. So ziehe ich ihr die Hose nur an, wenn die beiden im gleichen Raum allein sind. Funktioniert gut.
    Ich warte auf einen Anruf. Vielleicht kam er, als ich mit anderen am Draht hing. Viele in meiner Umgebung sind krank. Und wen ruft man da am besten an? Pia. Aber ich kann auch nicht alles machen. Wie soll ich da noch ein Buch schreiben? Mir ist kalt, obwohl der Ofen heiss ist. Nein, ich bin nicht krank, nur ein wenig verfroren.
    Langsam kommt Sonnenschein. Schafe ins Freie lassen, damit sie ihre Klauen im Schnee waschen können. Mit den Hunden laufen und sie mit Schneebällen beschäftigen, obwohl die Hundepsychologin gesagt hat, Schneebälle seien nicht ideal, weil es nicht das ganze Jahr über Schnee gibt. Sitz, lauf, bleib und so weiter, bis die Hirtenzeit wieder beginnt. Border Collies wollen immer beschäftigt sein. Haben sie nichts zu tun, können sie sich komische Sachen angewöhnen. Orsus zum Beispiel fängt den Schatten, eine schwierige Sache. Treuia springt den Autos nach oder vor sie hin, um sie anzuhalten, eine gefährliche Sache.
    Mein Vater hatte für mich eine ganz andere Karriere im Visier. Er wollte, dass ich studiere. Aber in der Pubertät hing mir die Schule schon zum Hals heraus, also kam Studieren für mich nicht in Frage. Wir zwei hatten eine ernsthafte Krise. Meine Mutter tat mir leid, sie musste beide Dickköpfe verstehen. So entschied ich mich für die Bäuerinnenschule, das waren zwei Winter. Dort lernten wir Kochen, Weben, Gartenbau, Handarbeit und so weiter. Es war eine gute Schule, jetzt gibt es sie nicht mehr in dieser Form. Am liebsten habe ich gewoben und mich an Holzschnitzereien versucht. Danach entschied ich mich, in einem Musikladen in Disentis eine Verkäuferinnenlehre zu machen. Wir hatten fast alle Instrumente und auch Stereoanlagen. Mein Departement waren die CDS , Musikkassetten und damals noch Langspielplatten. Flöten konnte ich auch verkaufen. Nach der Lehre hätte ich weiter im Geschäft bleiben können, aber ich wollte etwas anderes. Die Natur fehlte mir.
    Nach der Lehre durfte ich in einem romanischen Spielfilm die Hauptrolle spielen. Der Regisseur hatte mich in Vanescha beim Heuen kennengelernt, als er einen Film über Vrin drehte. An dem Tag, an dem das Filmteam in Vanescha war, hatte ich zu meinen Eltern und Geschwistern gesagt: »Warum kommen die da zum Filmen, ohne uns zu fragen?« Sie meinten, sie hätten schon gefragt, ich aber sagte: »Mich hat keiner gefragt.« Als die Filmleute fertig waren, waren wir alle ein wenig gestresst – Regenwolken zogen auf und Wind, wir mussten uns beeilen, das Heu in den Stall zu bringen. Mein Vater hatte keinen Heulader, sondern einen Aebi mit Krücken. Wir luden das Heu von Hand, und ich war diejenige, die das Heu auf den Aebi stapelte und mit den Füssen festdrückte, meistens barfuss. Also blieb ich auch oben auf dem Heu, als mein Bruder die Ladung zum Stall führte. Mein Vater und meine Schwester kamen zu Fuss hinterher. Oberhalb des Weilers führte die enge Strasse stark bergab. Mein Bruder fuhr einen Gang zu schnell, und die Heuladung überschlug sich. Ich fühlte, wie das Heu mit mir obenauf in Schräglage kam und alles den Hang hinabstürzte. Ich flog, aber ohne mir weh zu tun. Die Filmleute hatten das beobachtet und kamen rasch, um zu helfen. Meine erste Frage war: »Ist der Motor noch ganz?« Meine Schwester weinte, sie war unter Schock. Der Regisseur riet ihr, die Hände in den Brunnen zu halten. Das half. Keiner war verletzt, der Motor war ganz – und der Regen kam trotzdem. Zwei Jahre danach meldete sich der Regisseur und fragte mich, ob ich in einem Spielfilm die Rolle der Senza spielen würde. Ich war am Anfang gar nicht so begeistert, sagte dann aber doch zu nach einer Bedenkzeit. Es war eine reiche Erfahrung, die mich dann jahrelang geprägt hat. Ohne es zu merken, wurde ich im richtigen Leben zur Senza. Der Film gefiel vor allem
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