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Die Wasserfälle von Slunj

Die Wasserfälle von Slunj

Titel: Die Wasserfälle von Slunj
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in Brocken. Aber es kam nie zu einer Synthese, Beruhigung, Zusammenfügung. Er war schandbar häßlich, und war das schon als Kind gewesen, als ihn die Frau von Vuković schnappte. Auch das spricht für Tante Ada.
    Zdenko streunte in der Gegend. Er mußte das nicht einmal zu Fuße tun. Es gab für ihn ein Reitpferd und einen Burschen auf einem zweiten, der ihn begleitete. Dieser hieß Ivo (oder wurde so gerufen, denn eigentlich lautete sein Name Istvan, was so viel wie Stephan bedeutet, man hätte ihn also Pista rufen müssen, auch weil er ein Ungar war, aber nun blieb es einmal bei Ivo).
    Warum die Reitpferde, sogar vier? Wer ritt, außer Brlić, hier umher? Wer stieg da in den Sattel?
    Die Frau von Vuković (wenn nicht besoffen). Und zwar in Stiefeln, freilich, aber auch in Reithosen, und, wie sich aus dem letzteren Umstand schon ersehen läßt, im Herren-Sitz. (Höchst ungewöhnlich, für damals, schon gar bei einer alten Dame.)
    No servus! Aber sie saß fest. Und sie hatte was zum Sitzen, viel! Und weil sie fest saß, muß jeder Vergleich mit jener einst von dem Doctor Harbach geschilderten Libanon-Kavalleristin, der Frau Pastor Kruhlow, weit ab bleiben. Auch die hatte viel zum Sitzen gehabt, aber meistens war es in der Luft gewesen, wenn der schreiende Eseltreiber mit dem Tiere zu laufen anfing.
    Sie saß fest, die Vuković. Die Großärschigen haben überhaupt Talent zum Sitze, auch die Mannsbilder. Der Verfasser dieser Berichte ritt einmal hinter seinem älteren Bruder, einem ehemaligen Ulanen-Offizier, und staunte, wie dieser sich gleichsam um den Sattel herum-gegossen hatte. Da ist unsereiner mager dran.
    Ivo war in Zdenko’s Alter und sprach etwas deutsch. Er sagte ,Euer Gnaden‘ zu dem Gymnasiasten, und dieser wäre kein Mitglied des M.C. gewesen, hätte er dies nicht wie selbstverständlich hingenommen.
    Im übrigen ließ das Mitglied des M.C. sich nicht lumpen, und die Pappschachtel unter dem Strohsack in der Kammer, wo Istvan seine Ersparnisse aufbewahrte, erhielt nach jedem Ritte mit Zdenko anständigen Zuwachs. Es gehört zu den bezeichnenden Zügen des Lebens auf Vanice, daß dem Istvan nie etwas daraus gestohlen worden ist, obwohl bald jedermann hier von dieser Schachtel wußte (man fragte Istvan geradezu, wie es seiner Schachtel gehe), denn die Magd, welche die Kammern des Gesindes säuberte, mußte freilich auch diesen Strohsack manchmal wenden und klopfen. Istvan war ein hübscher Bursch, gutmütig, leicht melancholisch, mit etwas schräg stehenden, lang geschlitzten Augen. Bei seinen Arbeiten auf dem Gutshofe trug er eine blaue Schürze und immer hohe Stiefel. In der Pappschachtel befanden sich Münzen aller Art, kleinste, größere, Heller, Kreuzer, Kronen (Zdenko!), Gulden, Fünfkronenstücke und einige wenige blaue Zehnkronenscheine. Die Summe war dem Istvan stets genau bekannt.
    Aber man ritt nicht nur, war nicht nur auswärts, wenngleich das Wetter immer blau blieb, der Himmel tief und die Sonne allgegenwärtig und Hitze überall sammelnd, wo sie hindrang, kleinste intensive Portionen um irgendein Mäuerchen hinter dem Hof, und den ungeheuren Glast über dem Lande, wenn man in die Ferne sah. Die Hitze erdunkelte, sie machte schwindlig. In der Bibliothek neben dem Speisesaal herrschte verhältnismäßig Kühle, aber das gleiche kompakte Schweigen wie draußen über den Feldern. Hier las Zdenko die alten Skandalgeschichten des Brantôme in einer entzückenden ledergebundenen Oktavausgabe aus dem achtzehnten Jahrhundert. Dieses Büchlein hielt er gern in der Hand, ohne doch seinen bibliophilen Wert zu erkennen. Es gab auch einen Petitot, den hundertbändigen, ,Collection des Mémoires‘. Das alles war angemessen, der ganzen Lage nämlich, auch dem M.C. Er, Zdenko, sank rasch und tief in diese Lage ein. Ohne Hemmung, ohne sich von irgendetwas trennen zu müssen, weil es nicht hierher und jetzt nicht ganz zu ihm gehörte. Nein, er paßte hierher, so wie er eben war, und er fühlte sich passen, wie eine Lade in ein Schubfach.
    Nur, daß der M.C. eigentlich vergangen war, machte ihm Schmerz, so gut das alles hier dem M.C. entsprechen wollte: dieser war doch dahin. Aber es kam der Schmerz nicht eigentlich aus solchem Verluste; sondern eben der war es erst, welcher die vergehende Zeit fühlbar gemacht hatte, und sie geradezu war es, die den Schmerz erzeugte, den er empfand, wenn er hier in der Stille zwischen den bis zur Decke reichenden Bücher-Regalen stand.
    Man hätte dem jungen Herrn von
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