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Die Wand

Titel: Die Wand
Autoren: Marlen Haushofer
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Tagen aus meinem Waldgefängnis erlösen würde. Heute scheint es mir, als hätte ich insgeheim schon damals nicht an diese Möglichkeit geglaubt. Ich bin aber nicht sicher. Jedenfalls war ich vernünftig genug, zunächst die Hoffnung nicht aufzugeben. Nach einer Weile merkte ich, daß meine Füße schmerzten. Ich zog Schuhe und Strümpfe aus und sah, daß ich mir Blasen an den Fersen gelaufen hatte. Der Schmerz kam mir ganz gelegen, denn er lenkte mich von fruchtlosen Gedanken ab. Nachdem ich meine Füße gebadet und die Fersen mit Salbe bestrichen und mit Pflaster verklebt hatte, beschloß ich, mich im Jagdhaus so einzurichten, wie es mir am erträglichsten schien. Zunächst schob ich Luises Bett aus der Schlafkammer in die Küche und stellte es so an die Wand, daß ich den ganzen Raum und Tür und Fenster überblicken konnte. Luises Schaffell breitete ich vor dem Bett aus, in der heimlichen Hoffnung, Luchs würde es zum Lager erwählen. Er tat esübrigens nicht und schlief nach wie vor im Ofenloch. Auch das Nachtkästchen holte ich aus der Schlafkammer. Den Kleiderkasten schob ich erst einige Zeit später in die Küche. Die Fensterläden im Schlafzimmer schloß ich, und dann versperrte ich die Tür von der Küche aus. Auch die oberen Kammern versperrte ich und hängte die Schlüssel an einen Nagel neben den Herd. Ich weiß nicht, warum ich das alles tat, es war wohl eine Instinkthandlung. Ich mußte alles überblicken können und mich vor Überfällen sichern. Hugos geladene Büchsflinte hängte ich neben dem Bett auf, und die Stablampe legte ich auf das Nachtkästchen. Ich wußte, daß alle meine Maßnahmen gegen Menschen gerichtet waren, und sie erschienen mir lächerlich. Aber da bisher jede Gefahr von Menschen gedroht hatte, konnte ich mich nicht so schnell umstellen. Der einzige Feind, den ich in meinem bisherigen Leben gekannt hatte, war der Mensch gewesen. Ich zog meinen Reisewecker und meine Armbanduhr auf, und dann holte ich Holz, das geschnitten und zerhackt unter der Veranda aufgestapelt lag, in die Küche und schichtete es neben dem Herd auf.
    Inzwischen war es Abend geworden, und die kühle Luft wehte vom Berg herab in das Haus. Das Sonnenlicht lag noch auf der Lichtung, aber alle Farben wurden allmählich kälter und härter. Ein Specht hackte im Wald. Ich war froh, ihn zu hören, ihn und das Geplätscher des Brunnens, der in einem armdicken Strahl in den Holztrog rann. Ich legte meinen Mantel um die Schultern und setzte mich auf die Hausbank. Von hier aus konnte ich den Weg bis zur Schlucht sehen, die Jägerhütte, die Garage und dahinter die dunklen Fichten. Manchmal bildete ich mir ein, Schritte aus der Schlucht zu hören, aber es war natürlich jedesmal eine Täuschung. Eine Zeitlang betrachtete ich ganz gedankenlos ein paarriesige Waldameisen, die in einer kleinen hastigen Prozession an mir vorüberzogen.
    Der Specht stellte sein Klopfen ein; die Luft wurde immer kühler und das Licht bläulich und kalt. Das Stückchen Himmel über mir färbte sich rosarot. Die Sonne war hinter den Fichten verschwunden. Der Wetterbericht hatte gestimmt. Bei diesem Gedanken fiel mir das Autoradio ein. Das Fenster war halb heruntergelassen, und ich drückte auf den kleinen schwarzen Knopf. Nach einer kleinen Weile vernahm ich zartes, leeres Summen. Am Vortag hatte Luise zu meinem Ärger während der Fahrt Tanzmusik gehört. Jetzt wäre ich vor Freude über ein bißchen Musik umgefallen. Ich drehte und drehte an den Knöpfen; es blieb dabei, fernes zartes Summen, das vielleicht nur aus dem Mechanismus des kleinen Kastens kam. Schon damals hätte ich begreifen müssen. Aber ich wollte nicht. Lieber redete ich mir ein, irgend etwas an dem Ding wäre über Nacht kaputtgegangen. Immer wieder versuchte ich es, und nie kam etwas anderes aus dem Kästchen als jenes Summen.
    Schließlich gab ich es auf und setzte mich wieder auf die Bank. Luchs kam aus dem Haus und legte den Kopf auf meine Knie. Er hatte Zuspruch nötig. Ich redete zu ihm, und er lauschte aufmerksam und drängte sich winselnd an mich. Schließlich leckte er meine Hand ab und klopfte zögernd mit dem Schwanz auf den Boden. Wir hatten beide Angst und versuchten, einander Mut zu machen. Meine Stimme klang fremd und unwirklich, und ich senkte sie zu einem Flüstern, bis ich sie nicht mehr vom Plätschern des Brunnens unterscheiden konnte. Der Brunnen sollte mich noch oft erschrecken. Aus einer gewissen Entfernung klingt sein Geplätscher wie die Unterhaltung
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