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Die Wand

Titel: Die Wand
Autoren: Marlen Haushofer
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zurückverwandelte, und konnte nur hoffen, sie würde dem Leben im sommerlichen Wald gewachsen sein. Wäre sie noch krank gewesen, hätte ich sie auf jeden Fall mit mir genommen. Durch ihr Unglück war sie mir so sehr ans Herz gewachsen, daß mir der bevorstehende Abschied die Freude an der Alm ganz und gar verdarb. Ich wäre überhaupt viel lieber im Jagdhaus geblieben. Mein unbegreiflicher Widerwillen gegen die Alm, unbegreiflich nach einem so schönen Sommer, war noch immer nicht ganz verschwunden. Vielleicht war nur meine Bequemlichkeit daran schuld, die mich vor den Strapazen zurückscheuen ließ. Vielleicht hätte ich auf meine heimlichen Wünsche hören sollen, aber ich glaubte, Bella und Stier einen neuen Almsommer schuldig zu sein.
    Der ganze April blieb kalt und feucht, und im letzten Drittel war das Wetter so stürmisch, daß ich in der Hütte bleiben mußte. Die erzwungene Ruhe gefiel mir nicht. Ich war voll Arbeitseifer und mußte mich jetzt damit abgeben, meine Kleider für den Sommer auszubessern. Meine Hände waren so rissig, daß immerzu der Faden an ihnen hängen blieb, die Nadel rutschte mir durch die Finger, und ich mußte sie wieder suchen und neu einfädeln.Vorläufig brauchte ich mir um Kleidung noch keine Sorgen zu machen. Mit den Schuhen stand es viel schlimmer. Ich besaß ein Paar feste Bergschuhe mit gerillten Gummisohlen, die unverwüstlich waren, außerdem Luises Bergschuhe, die mir etwas zu groß waren, die ich aber zur Not auch würde tragen können. Aber meine Halbschuhe, mit denen ich angekommen war, befanden sich in üblem Zustand. Das Futter war zerrissen und die Spitzen und Absätze abgetreten, sie konnten kaum noch einen Sommer aushalten. Inzwischen habe ich mir aus einer getrockneten Rehdecke Mokassins genäht. Sie sind nicht besonders schön, aber sehr angenehm zu tragen. Leider sind sie nicht sehr haltbar. Damals war ich noch nicht auf diesen Ausweg gekommen. Auch mit Strümpfen und Socken sah es schlecht aus. Meine Stopfwolle war längst verbraucht, und ich mußte mir mit bunten Wollfäden helfen, die ich aus einer Decke zog.
    Richtige Kleider trug ich schon lange nicht mehr. Ich hatte längst die Kleidung gefunden, die für mich praktisch war. Hugos Hemden, an denen ich die Ärmel gekürzt hatte, meine alte Schnürlsamthose, einen Lodenjanker, eine Wollweste und im Winter Hugos lange Lederhose, die Falten um mich schlug. Im Sommer ging ich in kurzen Hosen, geschneidert aus einer eleganten Brokathose, die Luise am Abend im Jagdhaus getragen hatte. Mein Schlafrock war auch noch ganz gut erhalten, ich trug ihn ja nur im Haus. Alles in allem eine wenig kleidsame, aber zweckentsprechende Ausrüstung. Ich dachte kaum einmal an meine Erscheinung. Meinen Tieren war es gleichgültig, in welcher Schale ich steckte, sie liebten mich gewiß nicht wegen meines Aussehens. Wahrscheinlich hatten sie überhaupt keinen Schönheitssinn. Ich kann mir auch nicht vorstellen, daß ein Mensch ihnen schön erschienen wäre.
    So verbrachte ich einige Tage mit der lästigen Flickarbeit. Es war so kalt und windig, daß nicht einmal Luchs Verlangen nach Ausflügen zeigte. Er saß im Ofenloch und sog die Wärme in sich ein. Die Katze lag auf meinen Kleidern auf dem Tisch. Sie lag sehr gerne auf Kleidern, auch Perle und Tiger hatten das immer getan. Wenn ich etwas sagte, fing sie an zu schnurren, manchmal genügte schon mein Blick, um sie dazu zu bringen. Der Wind fuhr um die Hütte, und wir hatten es warm und behaglich. Wenn die Stille zu groß und bedrängend wurde, redete ich ein wenig, und die Katze antwortete mit kleinen Gurrlauten. Manchmal sang ich auch, und die Katze hatte nichts dagegen. Ich hätte zufrieden sein können, wäre es mir gelungen, die Gedanken an früher ganz auszuschalten, aber das gelang mir nur sehr selten.
    Am sechsundzwanzigsten April blieb mein Wecker stehen. Ich saß und nähte ein Hemd um, als er sein Ticken einstellte. Ich merkte es erst gar nicht, das heißt, ich merkte nur, daß irgend etwas anders war als zuvor. Erst, als die Katze die Ohren spitzte und den Kopf nach dem Bett hin wandte, hörte auch ich bewußt die neue Stille. Der Wecker war gestorben. Es war der Wecker, den ich in der oberen Jagdhütte auf meinem Ausflug ins Nachbartal gefunden hatte. Ich nahm ihn in die Hand, schüttelte ihn, und er sagte noch einmal tak-tak, und dann war es endgültig aus mit ihm. Ich schraubte ihn mit der Schere auf. Für mich sah er ganz gesund aus. Ich konnte keinen Fehler in
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