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Die Wahrheit

Die Wahrheit

Titel: Die Wahrheit
Autoren: David Baldacci
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Staaten gegen Chance war einer der wichtigsten Fälle, die in dieser Sitzungsperiode auf der Liste standen. Barbara Chance war Soldatin in der Army gewesen. Man hatte sie eingeschüchtert und schikaniert, und wiederholt war sie von mehreren ihrer männlichen Vorgesetzten zum Geschlechtsverkehr genötigt worden. Der Fall hatte die üblichen internen Dienstwege der Army durchlaufen, und einer der Männer war vors Kriegsgericht gestellt und zu einer Haftstrafe verurteilt worden. Doch Barbara Chance hatte sich nicht damit zufrieden gegeben. Nachdem sie aus dem Militärdienst ausgeschieden war, hatte Chance auf Schadenersatz geklagt - mit der Begründung, die Army habe zugelassen, daß diese feindselige Umgebung für sie selbst und andere weibliche Rekruten überhaupt erst entstehen konnte.
    Barbara Chance hatte den Dienst quittiert und dann Klage eingereicht. Der Fall hatte sich langsam durch die Instanzen gearbeitet, und stets war die Army Sieger geblieben. Doch der Fall barg dermaßen viele juristische Grauzonen, daß er schließlich wie ein Findelkind auf der Schwelle dieses Palastes gelandet war.
    Die derzeitige Rechtsprechung lief darauf hinaus, daß Barbara Chance - es war die reinste Ironie - keinerlei Aussicht auf Erfolg hatte. Es war so gut wie unmöglich, daß Militärangehörige ihren Dienstherrn auf Schadenersatz verklagten, ganz gleich aus welchem Grund und welches Verschulden auch vorliegen mochte. Doch die Richter konnten die Gesetzeslage ändern. Und Richterin Knight und Sara Evans arbeiteten hinter den Kulissen eifrig daran, genau das zu tun. Bei diesem Vorhaben war Thomas Murphys Unterstützung von ausschlaggebender Bedeutung. Es mochte Murphy zwar nicht gelingen, das Recht der Army auf Immunität völlig aufzuheben, aber der Fall Chance konnte zumindest ein Loch in die Mauer der Unbesiegbarkeit des Militärs stanzen.
    Es schien verfrüht zu sein, über das Urteil in einem Fall zu diskutieren, der noch gar nicht verhandelt worden war, doch in vielen Fällen und für viele Richter war die mündliche Verhandlung eher nebensächlich: Bei Verhandlungsbeginn hatten die meisten Richter ihre Entscheidung bereits gefällt. Der Prozeß als solcher, das Urteil und dessen Begründung waren für die Richter eher eine Gelegenheit, den Kollegen ihre Ansichten und Befürchtungen darzulegen, was häufig dadurch geschah, daß die Richter auf extrem hypothetische Beispiele zurückgriffen. Es war eine geistige Einschüchterungstaktik, so als wollten sie sagen: »Verstehen Sie, werte Kollegen, was passieren könnte, wenn Sie für dieses und jenes stimmen würden?«
    Michael erhob sich und schaute zu Sara hinunter. Nur auf sein Drängen hin hatte sie sich für eine weitere Sitzungsperiode beim Obersten Gericht verpflichtet. Sara war auf einer kleinen Farm in North Carolina aufgewachsen und hatte in Stanford studiert. Wie alle Assessoren am Supreme Court konnte sie mit einer blendenden beruflichen Zukunft rechnen: beim Obersten Gerichtshof gearbeitet zu haben war wie ein goldener Schlüssel, der einem Anwalt beinahe jede Tür öffnete - sofern man mit beiden Beinen auf dem Boden blieb. Es gab Beispiele von Assessoren, die nach Verlassen des Obersten Gerichts so sehr vor Selbstbewußtsein gestrotzt hatten, daß ihre juristischen Fähigkeiten nicht mehr ihrem Dünkel entsprachen. Doch Michael und Sara waren dieselben geblieben, die sie gewesen waren. Aus diesem Grund - und wegen Saras Intelligenz, ihrer erfrischend ausgeglichenen Persönlichkeit und ihres guten Aussehens - hatte Michael seiner Kollegin vor einer Woche eine sehr wichtige, sehr persönliche Frage gestellt. Eine Frage, auf die er bald eine Antwort zu erhalten hoffte. Vielleicht jetzt. Er war noch nie ein besonders geduldiger Mensch gewesen.
    Sara schaute erwartungsvoll zu ihm hoch.
    »Hast du über meinen Antrag nachgedacht?«
    Sie hatte gewußt, daß die Frage kommen würde. Sie war ihr lange genug ausgewichen. »Ich habe über nichts anderes nachgedacht.«
    »Man sagt, es ist ein schlechtes Zeichen, wenn es so lange dauert.« Michael sagte es im Scherz, doch der Humor war sichtlich gezwungen.
    »Michael, ich mag dich sehr.«
    »Du magst mich? O je, noch ein schlechtes Zeichen.« Sein Gesicht lief plötzlich rot an.
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich ... es tut mir leid.«
    Er zuckte die Achseln. »Wahrscheinlich nicht halb so leid wie mir. Ich habe noch nie jemandem einen Heiratsantrag gemacht.«
    »Und ich habe noch keinen bekommen. Michael, ich fühle mich
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