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Die Wahrheit über Alice

Die Wahrheit über Alice

Titel: Die Wahrheit über Alice
Autoren: Rebecca James
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nicht ewig weglaufen, was, Katie? Irgendwann
     musst du dich der Wahrheit stellen.»
    Du drehst dich zu ihr um. «Wovon redest du? Was soll das?»
    Wieder stemmt sie die Hände in die Hüften und mustert dich von oben bis unten. «Wie ist das so, das perfekte Leben zu haben,
     Katherine? Die perfekte Familie? Muss schön sein, so verwöhnt zu werden, so gar nichts vom Leid anderer Leute mitzubekommen.»
    «Die perfekte Familie? Kein Leid mitzubekommen?», sagst du ungläubig. «Soll das ein Witz sein, Alice? Meine kleine Schwester
     wurde ermordet. Meine Familie ist alles andere als glücklich, alles andere als perfekt.»
    «Aber deine Eltern lieben ihr kleines übriggebliebenes Mädchen, oder?», sagt sie höhnisch. «Ich weiß es. Ich hab es mit eigenen
     Augen gesehen. Du bist ihre kleine Prinzessin. Sie vergöttern dich. Deshalb bist du auch so arrogant und gleichgültig.»
    «Gleichgültig? Wem gegenüber? Du spinnst, Alice. Und du sprichst in Rätseln.»
    «Du bist gleichgültig gegenüber Leuten wie uns.»
    «Leuten wie uns?» Du blickst sie betont fest an. «Wer ist uns, Alice? Von wem redest du?»
    |296| «Von mir und meinem Bruder. Ich rede von uns. Von mir und meinem kleinen Bruder.»
    Du schüttelst verwirrt den Kopf. «Ich kapier kein   –»
    «Für Leute wie dich ist alles immer so einfach, Katherine. Deine Eltern lieben dich. Die Welt liebt dich. Du musstest nie
     irgendwem irgendwas beweisen. Und wenn deine Schwester ermordet wird, dann steht ganz selbstverständlich jeder auf deiner
     Seite, dann geht jeder ganz einfach davon aus, dass du nichts dafür konntest, dass es nicht deine Schuld war.»
    «Aber es war nicht meine Schuld.» Und trotz der Hysterie, die in dir hochsteigt, und obwohl du sie vor Wut am liebsten anschreien
     und ohrfeigen würdest, sagst du mit ruhiger, fast normal klingender Stimme: «Wie kannst du es wagen, so etwas zu sagen? Und
     es stimmt auch gar nicht. Die Leute waren schrecklich nach dem Mord an Rachel. Es war schrecklich. Das hab ich dir doch erzählt.»
    «Schrecklich? Was für ein herzergreifendes Wort. So schrecklich, wie du sagst, kann es ja wohl kaum gewesen sein. Du wurdest
     schließlich nicht in den Knast gesteckt, oder? Du wurdest nicht wegen Mordes angeklagt, oder?»
    Mick zieht an deinem Arm und sagt, du sollst es gut sein lassen und weitergehen, aber dafür bist du schon zu wütend, dafür
     hast du dich schon zu sehr auf das Thema eingelassen. Du schiebst seine Hand weg und bleibst, wo du bist.
    «Natürlich nicht!» Und trotz der Zweifel, die dich noch immer quälen, trotz der Fehler, die du an dem Abend von Rachels Ermordung
     gemacht hast, spürst du plötzlich eine brennende Wut in dir – auf Alice, auf die Presse und auf die Mörder selbst. Diese Wut
     ist in deiner Stimme unüberhörbar. «Ich hab schließlich nichts verbrochen!»
    «O doch, das hast du!» Und jetzt lächelt sie, und ihre Stimme klingt verlogen-vertraulich. «Oberflächlich betrachtet, kann |297| es wirklich so aussehen, als wärst du unschuldig. Für jemanden, der es nicht besser weiß. Aber wir zwei beide, wir wissen
     es besser, nicht wahr?»
    «Nein, Alice. Nein. Wissen wir nicht.» Und obwohl du im Grunde weißt, dass dieses Gespräch sinnlos ist, fühlst du dich gezwungen,
     dich zu verteidigen und zu wehren. «Du irrst dich. Was du da sagst, ist widerlich. Es ist unfair. Unwahr. Ich habe einfach
     Panik gekriegt. Ich habe Licht gesehen und bin darauf zugerannt, um Hilfe zu holen. Ich hatte panische Angst. Ich hatte keine
     andere Wahl.»
    «Doch, du hattest eine andere Wahl, Katherine. Du hattest an dem Abend sehr oft die Wahl. Und du hast jedes Mal die falsche
     getroffen. Jedes. Einzelne. Mal.»
    «Nein.» Du schüttelst den Kopf und unterdrückst die Tränen. «Nein. Das stimmt nicht.»
    Sie beugt sich näher zu dir und spricht jetzt ganz leise. «Du hättest nicht weglaufen dürfen, Katherine.»
    «Doch», sagst du. «Ich hatte keine andere Wahl.»
    «Nein.» Sie richtet sich kerzengerade auf, verschränkt die Arme vor dem Körper und spricht im Brustton der Überzeugung. «Du
     hast ihnen keine andere Wahl gelassen, als du weggelaufen bist. Du hast sie gezwungen, etwas zu tun, was sie nicht tun wollten.»
    «Wieso sagst du das?» Und jetzt schreist du. Du packst ihren Arm und hältst ihn fest. «Wieso? Wieso sagst du, ich hätte eine
     Wahl gehabt? Sie haben uns gegen unseren Willen festgehalten. Sie allein hatten die Wahl. Nicht ich. Nicht meine Schwester.
     Wir waren
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