Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wahrheit des Blutes

Die Wahrheit des Blutes

Titel: Die Wahrheit des Blutes
Autoren: Jean-Christophe Grangé
Vom Netzwerk:
und wurde lauter.
    »Ich habe jetzt fast vier Monate an dieser Akte gesessen. Guillard sucht alle Zweigstellen seines Unternehmens regelmäßig auf und hat dabei die schwangeren Frauen aufgetrieben. Es kann einfach kein Zufall sein.«
    »Aber sicher kann es das, und das wissen Sie ebenso gut wie ich. Guillards Werkstätten befinden sich in La Courneuve und in Saint-Denis. Alle drei Opfer wohnten in einer dieser Städte, und zufällig hat unser Mörder dort zugeschlagen. Andere Zusammenhänge gibt es nicht. Sie könnten durchaus auch den Nachtwächter eines Supermarktes in der Gegend verdächtigen. Oder irgendwen anders.«
    Passan lehnte sich zurück und knöpfte seine Jacke zu. Ihm war kalt. Das Büro des Untersuchungsrichters verströmte eine gewisse Strenge: Metallmöbel, PVC, ein alters- und farbloser Teppich.
    Calvini fuhr fort, Fakten aufzuzählen – oder besser: das Fehlen von Fakten. Passan verzichtete darauf, ihm zu erklären, was Intuition für ihn bedeutete. Ivo Calvini war ein hochintelligenter Mensch, der es in relativ jungen Jahren schon weit gebracht hatte, doch er hatte keine Ahnung vom Außendienst. Für den eiskalten Wunderknaben waren seine Akten so unumstößlich wie eine mathematische Gleichung, aber so etwas wie Einfühlungsvermögen in die Beweggründe der verschiedenen Parteien ging dem hochdiplomierten, hellen Kopf völlig ab.
    Passans Vorgesetzter Lefebvre, der Aphorismen liebte, hatte einmal über den Untersuchungsrichter gesagt: »Calvini ist superintelligent, aber ich bin weniger blöd als er.«
    Schmunzelnd konzentrierte sich Passan wieder auf die Worte seines Gegenübers.
    »Außerdem hat Patrick Guillard für jedes der Verbrechen ein Alibi.«
    Passan seufzte. Wie oft hatte er diesen Ausspruch schon gehört?
    »Aber wir kennen weder das genaue Datum noch die Zeit, zu der die Morde stattfanden«, konterte er.
    »Wir wissen, wann die Frauen verschwunden sind.«
    »Richtig. Doch die Alibis von Guillard beruhen ausschließlich auf den Aussagen seiner Angestellten und taugen daher nichts. Guillard ist der Geburtshelfer, daran besteht nicht der geringste Zweifel. Warum reden wir überhaupt? Sie wissen doch, was vergangene Nacht passiert ist – reicht Ihnen das nicht?«
    »Ich habe den Bericht über Ihr Vorgehen gelesen. Er spricht nicht gerade zu Ihren Gunsten. Was haben Sie dazu zu sagen?«
    Passan verzog das Gesicht. Er hatte nur wenige Stunden geschlafen und beim Aufwachen eine SMS mit einer dringlichen Aufforderung zu einem Gespräch mit Calvini vorgefunden. Nach Dusche und Rasur war er mit eingeschaltetem Martinshorn über die völlig überfüllte Autobahn 86 ins Departement Seine-Saint-Denis, von allen nur kurz 93 genannt, geprescht. Seine Ohren summten noch immer.
    Calvini fuhr in etwas versöhnlicherem Ton fort:
    »Wir arbeiten jetzt seit mehreren Monaten gemeinsam an diesem Fall. Leider scheint mir, dass der Funke noch nicht wirklich übergesprungen ist.«
    »Hier geht es nicht darum, dicke Freunde zu werden.«
    Sofort bereute Passan seine Antwort. Calvini hatte ihm die Hand hingehalten, und er hatte hineingespuckt. Der Untersuchungsrichter seufzte und zog einen Stapel eng beschriebener Papiere hervor. Passan begriff, dass es sich um seine eigene Akte handelte. Trotz hochgezogenen Kragens und verschränkter Arme fror er immer noch.
    »Anfang Mai hat Patrick Guillard eine Dienstaufsichtsbeschwerde wegen unangemessenen Verhaltens gegen Sie eingereicht.«
    »Weil ich ihn beschattet habe.«
    »Ja, und zwar Tag und Nacht, drei Wochen lang und ohne dienstlichen Auftrag. Sie haben ihn sogar nur aufgrund von Vermutungen festgenommen und nicht genehmigte Hausdurchsuchungen durchgeführt.«
    »Reine Routinebesuche.«
    »Bei ihm zu Hause?«
    Passan antwortete nicht. Sein rechtes Bein zitterte. Plötzlich fragte er sich, ob ihm die alten Sünden einen Strich durch die Rechnung machen konnten. Zwar hatte er Guillard auf frischer Tat ertappt, aber schließlich war allgemein bekannt, dass das Gesetz die Kriminellen schützte.
    »Am 17. Mai wurde verfügt, dass Sie mindestens zweihundert Meter Abstand zu Patrick Guillard halten müssen.«
    Passan schwieg.
    »Nach diesem Vorfall hatte ich gehofft, dass Sie vielleicht andere Spuren und verdächtige Personen weiterverfolgen würden. Aber da habe ich mich wohl getäuscht.«
    Passan blickte auf. Jetzt war es an der Zeit, sein Ass aus dem Ärmel zu schütteln.
    »Ich bin auf einen neuen Sachverhalt gestoßen.«
    »Nämlich?«
    »Das Motiv von
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher