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Die Wächter Edens

Die Wächter Edens

Titel: Die Wächter Edens
Autoren: Stephan Bellem
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U-Bahn-Station nur von einer Linie angefahren wurde, die noch dazu seit dem Umbau des Streckennetzes kaum jemand mehr nutzte, gab es keine Rolltreppe oder gar einen Aufzug. Die Anlage hatte in alten Streckenplänen einen großen Stellenwert und sollte einst der Knotenpunkt vieler U-Bahn-Linien und einiger Busse werden. Doch dann ergaben Bodenproben, dass der Grund nicht sicher war. Und um ein Absinken oder gar Einstürzen der umliegenden Gebäude zu verhindern, hatte man sich entschlossen, die Linie 6 Stück für Stück durch Busse zu ersetzen.
    Jetzt waren nur ein Bahnsteig und einige rudimentäre Tunnelschächte übrig, die nach und nach wieder aufgefüllt wurden. Im Winter kam es nicht selten vor, dass Obdachlose dort Zuflucht suchten, um der Witterung zu entgehen. Ob das Opfer diesmal wieder ein Obdachloser war? , überlegte Arienne.
    Der Bahnsteig war belebter als selbst zu Stoßzeiten. Polizisten, Forensiker, der Polizeifotograf – und mittendrin Tom, der mit seinem kleinen Notizblock hantierte. Arienneschüttelte ungläubig den Kopf und kramte in ihrer Handtasche nach dem Diktiergerät. Willkommen im einundzwanzigsten Jahrhundert.
    Tom sah kurz auf und erkannte sie sofort. Sein Gesichtsausdruck wechselte von Überraschung zu Missfallen und mündete schließlich in ein entwaffnendes Lächeln – alles innerhalb einer Sekunde. Arienne schenkte ihm ein ebenso aufgesetztes Lächeln und beeilte sich, zu dem Brandopfer zu gelangen. Der Gerichtsmediziner hatte seine erste Untersuchung schon beendet und gab die Leiche zum Transport in die Pathologie frei. Arienne wollte jedoch unbedingt noch einen eigenen Blick auf den Toten werfen und sich nicht ausschließlich auf Fotografien verlassen müssen.
    »Hallo, Ari«, begrüßte Tom sie mit gespielter Freude.
    »Hi, Tom«, sagte sie knapp, ließ ihn aber ansonsten links liegen und steuerte zielsicher auf das Brandopfer zu.
    Dort hockte ein Fotograf der Spurensicherung und schoss noch ein paar letzte Bilder. Arienne stellte sich neben ihn und betrachtete das Opfer. Dabei konnte sie die Unterhaltung zweier Polizisten belauschen. Unbemerkt drückte sie die Aufnahmetaste an ihrem Diktiergerät und brachte es in ihrer Tasche in eine bessere Position.
    »Er saß wohl gegen die Säule gelehnt, Günther«, klärte der eine Beamte, ein junger Mann, vermutlich türkischer Abstammung, seinen kleineren Kollegen auf.
    »Und hat sich dann mit Alkohol übergossen?«, fragte Günther.
    »Ja. So sieht’s aus. Er hatte Zigaretten bei sich. Vermutlich hat er sich aus Versehen angezündet.«
    »Und schließlich rutschte er hier hinunter in die Position, in der wir ihn gefunden haben«, fügte Günther skeptisch hinzu.
    »So sieht’s aus.«
    Arienne betrachtete die Brandflecken genauer. Die großen rußgeschwärzten Stellen hatten die Beamten wohl zu ihrer Annahme geführt, denn die Säule schien noch stärker vom Feuer gezeichnet zu sein als der Boden.
    »Aber wieso ist er so ruhig liegen geblieben?« Günther wirkte noch immer alles andere als überzeugt.
    Ja, gute Frage! , dachte Arienne.
    »Vielleicht war er schon bewusstlos?«, vermutete der Jüngere.
    »Denk nach, Cem. Wie soll er sich dann selbst angezündet haben?«, beharrte Günther. »Das passt nicht zusammen.«
    »Denkst du, es war Mord?«
    Der Kleinere zuckte die Achseln. »Keine Ahnung. Wird wohl eine Ermittlung geben.« Er blickte sich um. »Aber ohne Beweise können wir da nichts machen.«
    Cem nickte zustimmend.
    Ihr vielleicht nicht , dachte Arienne entschlossen und schaltete ihr Diktiergerät aus. Die Unterhaltung könnte sich noch als nützlich erweisen. Sie machte rasch einige Fotos mit ihrer Handykamera aus möglichst vielen Perspektiven, ehe die Gerichtsmediziner den Leichnam einsackten und abtransportierten.
    Vom Schädel des Toten war keine Spur zu finden. Anscheinend hatte das Feuer ihn komplett zerstört. Arienne zog ein eisiger Schauer über den Rücken, als sie sich das Bild ausmalte.
    Wie bei den beiden Opfern vor drei Monaten , erinnerte sie sich. Sie sah sich um und erblickte Tom, der sie genervt zu sich herübergestikulierte.
    »Ich hab alles«, sagte er ohne Umschweife. »Lass uns ’nen Kaffee trinken gehen.«
    Verstehe . Du bist der dicke Fisch, nicht wahr? Sie setzteein falsches Lächeln auf und antwortete: »Gern, wenn du zahlst.«
    Tom murmelte etwas Unverständliches vor sich hin, nickte dann aber und ging Richtung Treppe.
    Du willst mich unbedingt hier rausbekommen, was? »Was glaubst du, war es
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