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Die Wacholderteufel

Die Wacholderteufel

Titel: Die Wacholderteufel
Autoren: Sandra Lüpkes
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müde. Mama war immer zu müde zum Essen. Und meistens auch zum Reden. Sie hatte am Tisch keinen Pieps gesagt.
    Nun waren sie dem Gong gefolgt, der alle Leute in der Klinik zum Abendessen rief, und da hatte er die andere Frau schon dort sitzen sehen. Es war ein guter Platz. Ein runder Holztisch in der Ecke, direkt am Fenster, aber auch nicht zu weit vom Buffet entfernt. Optimal eigentlich. Zum Glück sah die Frau an ihrem Tisch nett aus. Sie war, so schätzte Mattis, etwa so alt wie Mama, hatte dunkelrote Haare und einen hellroten Pulli. Ihr Bauch war schon dicker als der seiner Mutter.
    «Benimm dich gut, Mattis», sagte seine Mutter in ihrem leisen und hastigen Ton. Wenn seine Mutter zischelte, war sie nervös. Und wenn sie nervös war, machte man lieber genau das, was sie von einem verlangte. Sie war eigentlich ständig nervös.
    Sie schob ihn vor sich hin, als sei er zu blöd zum Laufen. Vor ihrem Platz blieb sie stehen und zerwühlte mit ihren Fingern sein Haar. Noch so eine nervige Sache, die seine Mutter machte. Ihm ohne Grund die Frisur zerstören. Danach sah er immeraus wie ein Kleinkind. Mit einem Ruck zog er den Kopf zur Seite, und die Hand seiner Mutter landete auf der Schulter.
    «Also, das ist der Mattis», sagte sie.
    Die Frau erhob sich ein Stück von ihrem Sitz und reichte ihm die Hand: «Hallo, Mattis. Ich bin Wencke. Wenn ich schmatze, musst du es mir sagen. Ich esse zu Hause meistens allein, und da kann es schon mal sein, dass ich mich bei Tisch danebenbenehme.»
    «Kein Problem», sagte Mattis. Er setzte sich auf seinen Stuhl und schenkte sich Mineralwasser ins Glas. Cola gab es nicht. Zu blöd.
    «Du lebst allein?», hakte Mattis’ Mutter nach.
    «Nein, nicht ganz. Ich teile meine Wohnung mit einem Kollegen. Da wir aber in unterschiedlichen Schichten arbeiten, bekommen wir uns nur selten zu Gesicht.»
    «Aha», sagte Mutter. Mattis konnte ihr ansehen, dass sie sich fragte, warum denn eine Frau mit einem Kollegen zusammenwohnte statt mit einem richtigen Mann. Seine Mutter machte sich oft Gedanken um so einen Kram. Mattis fand das manchmal schade. Besser wäre es, sie würde sich einmal den Kopf darüber zerbrechen, warum bei ihnen zu Hause alles so seltsam war.
    Denn es war seltsam. Anders als bei anderen. Die Sache mit dem Pisspott zum Beispiel. So etwas war nicht normal. Und dass Hartmut immer so schlechte Laune hatte, war auch komisch, also nicht im Sinne von witzig sein, nein, witzig war es überhaupt nicht. Genau das Gegenteil. Auch, dass Mama immer an allen möglichen Dingen herumrätselte. Warum er Probleme in der Schule hatte. Warum der Nachbar seinen Knöterich im Garten nicht anständig zurückschnitt. Warum die Bundeskanzlerin immer wieder neue Gesetze erfand, um einem das Geld aus der Tasche zu ziehen. Das waren Mamas Sorgen.
    «Sag mal, ich komme ja aus Bremen, und dort in der Nähe gibt es ein Künstlerdorf   …»
    «Worpswede?», unterbrach die nette Tischnachbarin.
    «Genau. Du sagtest doch eben, du heißt mit Nachnamen Tydmers. Das ist ja ein nicht so häufiger Nachname. Und in Worpswede wohnt eine berühmte Malerin   …»
    «Meinst du Isa Tydmers?», warf die Frau wieder dazwischen. Wahrscheinlich hatte sie keine große Lust auf Mamas umständliche Ausführungen. «Sie ist meine Mutter.»
    «Wow!», staunte Mama. «Dann machst du ja vielleicht ebenfalls was Künstlerisches. Bis du auch Malerin?»
    «Nein. Im Gegenteil: Ich bin im Amt tätig», antwortete die Rothaarige nach einer kurzen Pause. Dann stellte sie schnell eine Gegenfrage, und Mattis hätte schwören können, dass sie es machte, um nicht weiter nach ihrem Job oder ihrer Künstlermutter gefragt zu werden. «Und du arbeitest im Einzelhandel?»
    «Jaja. Reklamationen. Im Marktkauf.»
    «Ich hol mir jetzt was zu essen!», murmelte Mattis, aber keine der beiden schien ihn zu hören. Er stand auf, schlenderte zum Buffet und wusste, dass seine Mutter nun bestimmt lang und ausgiebig über ihre Arbeit sprach. Wahrscheinlich erzählte sie auch diese uralte Geschichte von dem Mann, der sich beschwert hatte, weil sein neuer Rasenmäher das Meerschweinchen totgeschoren hatte. Und wie sie ihm dann verweigert hatte, das Geld dafür zurückzuzahlen. Dies war die einzige interessante Story aus dem Leben seiner Mutter, und die gab sie meistens schon ganz zu Beginn einer neuen Bekanntschaft zum Besten. Danach gab es dann nichts mehr zu erzählen, deswegen hatte seine Mutter auch keine richtigen Freunde.
    Zum Glück gab es
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