Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wacholderteufel

Die Wacholderteufel

Titel: Die Wacholderteufel
Autoren: Sandra Lüpkes
Vom Netzwerk:
Mortadella. Und Ketchup. Aber leider nur Vollkornbrot. Er nahm eine kleine Tomate auf den Teller, weiler wusste, dass seine Mutter ihn sonst garantiert anmachen würde, er solle doch wenigstens eine klitzekleine Portion Vitamine zu sich nehmen. Die rote Kugel rollte auf dem Teller hin und her und blieb schließlich am in Wellenform geschnittenen Stück Butter kleben. Keine Nutella zum Abendbrot – daran musste er sich in den nächsten Wochen also gewöhnen. Mit zwei hart gekochten Eiern in der einen und dem vollen Teller in der anderen Hand ging er wieder zum Tisch.
    «Mama, der Junge ist aber dick», hörte er ein kleines Windelkackermädchen sagen. Er schlich sich wütend an ihrem Tisch vorbei.
    «…   hab ihm das Geld nicht gegeben. Was kann denn Marktkauf dafür, wenn er seine Haustiere über den Haufen mäht?», schloss Mama gerade. Die Frau namens Wencke lachte über die Geschichte. Dann schielte sie zu Mattis’ Teller hinüber.
    «Ketchupbrot? Ich liebe Ketchupbrot! Das ist eine gute Idee.» Sie stand auf und verschwand mit dem Teller in der Hand.
    «Vitamine?», fragte Mama.
    Mattis zeigte auf die Kirschtomate. «Nutella gibt’s abends keine.»
    Wieder strich sie ihm über die Haare. «Wir können dir im Supermarkt ein Glas kaufen, das schmuggle ich dir dann in der Handtasche hier rein. Okay?»
    Er nickte und schob sich zwei Wurstscheiben ohne Brot in den Mund. Seine Mutter war Klasse. Trotz allem. Sie wusste, welche Dinge wichtig für ihn waren. Und irgendwie schaffte sie es immer, sie ihm zu besorgen. Heute Abend würde er ihr den Nacken massieren. Denn das mochte sie so gern, sie war ja immer so verspannt. Und zu Hause durfte er das nicht. Zu Hause war Hartmut.

4
    Die Klinikleiterin Viktoria Meyer zu Jöllenbeck trug sehr schicke Klamotten: einen maronenbraunen Hosenanzug mit Bundfalte und ein farblich nett abgestimmtes Tuch über der einen Schulter, eine cremefarbene Bluse mit gebundenem Kragen darunter. Der schimmernde Lidschatten reichte bis zu den perfekten Augenbrauenbögen, der Lippenstift passte grandios, aus der mittelbraunen Hochsteckfrisur fiel gekonnt eine Locke auf das Revers. Sie hatte so viel Stil, dass sie unantastbar wirkte, insbesondere im Kontrast zu der im Foyer um sie herum versammelten Gruppe von Frauen, die sich mit ihren Jogginghosen und unfrisierten Haaren auszeichnete.
    «Im Namen der Leitung des Hauses heiße ich Sie nochmals herzlich willkommen in der
Sazellum -Klinik
. Heute Abend möchte ich Ihnen ein wenig von der Geschichte des Hauses erzählen. Danach machen wir einen gemeinsamen Rundgang.»
    Sie konnte charmant lächeln und gleichzeitig streng in die Runde schauen, ob auch alle aufmerksam zuhörten.
    «Doch zuerst verteile ich die Kurbücher. Diese kleinen gelben Hefte sind dazu da, dass Sie all Ihre Termine eintragen können. Bringen Sie das Buch bitte zu jeder Behandlung mit, damit unser Personal Ihre Anwesenheit bestätigen kann. So viel zum rein Organisatorischen   …» Sie verteilte die Bücher, und da jede Frau einen Namensaufkleber auf der Brust trug, waren die Hefte schnell zugeordnet.
    Wencke schaute in ihr Heft. Dort standen Begriffe wie Fußreflexzonenmassage, Infrarotbestrahlung, Kneipp’sche Güsse und täglich Gesprächstherapie. Langweilig würde ihr wahrscheinlich nur selten werden. Sie blickte wieder zur Klinikleiterin.
    «Die Gemeinden Horn/​Bad Meinberg sind an einem bedeutungsvollen Fleckchen in Deutschland angesiedelt. Man sagt, der Teutoburger Wald sei so etwas wie die Heimat der Germanen. Der Ursprung unserer Kultur.»
    Wencke stand abseits der Gruppe an eine Steinsäule gelehnt und lauschte den Erzählungen der Frau. Sie war allem Anschein nach eine der wenigen, die sich für das Thema interessierten. Hier und da begannen schon die Ersten zu tuscheln, weil ihnen langweilig wurde.
    «
Sazellum
wird auch die obere Kapelle in den Externsteinen genannt.»
    Viktoria Meyer zu Jöllenbeck zeigte auf eine gerahmte Fotografie an der hinter ihr liegenden Wand. Einige schrumpelig aussehende Steinquader ragten aus einer hellgrünen Wiese empor. An den daneben stehenden Menschen konnte man erkennen, dass die Felsen riesig waren, bestimmt an die fünfzig Meter. Auf Wencke wirkten die Felsen etwas unheimlich, sie dachte beim Anblick der Steine an einen skelettierten Unterkiefer, in dem noch lose Zahnstumpen hingen. Assoziationen wie diese überkamen sie oft. Wie lange müsste eine Kripobeamtin wohl in Kur sein, um derlei Bilder ein für alle Mal
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher