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Die Wacholderteufel

Die Wacholderteufel

Titel: Die Wacholderteufel
Autoren: Sandra Lüpkes
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Aufmerksamkeit verzweifelter Frauen auf sich gerichtet zu wissen. Da wäre der attraktive Axel Sanders zur Höchstform aufgelaufen. Schon allein das Engagement, mit dem ihr Kollege – und seit nunmehr einem guten Jahr auch Mitbewohner – sich nach ihrem Zusammenbruch um sie gekümmert hatte, war beachtlich. Er hatte sie im Krankenhaus besucht, hatte bei der ersten Ultraschalluntersuchung aufgeregt ihre Hand gehalten und hatte nach Feierabend den WG-eigenen PC in Beschlag genommen, um nach dem Diplompsychologen zu suchen, der seiner Ansicht nach der Einzige sein konnte, der Wenckes Problemen würdig war. Axel Sanders war nicht ihr Geliebter, erst recht nicht der Vater ihres Kindes, eigentlich noch nicht einmal ihr liebster Kollege in der Auricher Mordkommission. Aber er hatte sich nach der Sache mit dem Ei auf dem Stiefel als wirklicher Lichtblick erwiesen. Sie hatte ihm versprechen müssen, sich einmal am Tag bei ihm zu melden. Abends um zehn, wenn hier im Kurheim absolute Nachtruhe verordnet war. Dann war auch Axels Schicht normalerweise zu Ende, und sie konnteihn zu Hause erreichen. Bei ihrem Abschied am Morgen am Bahnhof in Leer war ihr dieses Telefon-Versprechen so lächerlich vorgekommen, als ginge sie auf Klassenfahrt und er sei ihr Vater. Doch schon jetzt, ein paar Stunden später, konnte sie dem Gedanken, mit einem halbwegs vertrauten Menschen ein halbwegs normales Gespräch zu führen, einiges abgewinnen.
    Die Vorstellungsrunde lief weiter. Jede stand kurz auf, erzählte ein wenig über sich und gab das eine oder andere Problem der Allgemeinheit preis. Es waren alle weiblichen Charaktertypen vertreten: Es gab die verbissene Zicke, die gemütliche Glucke, die naseweise Oberlehrerin, die kumpelhafte Schwester, die frustrierte Schachtel, die aufgestylte Tussi, die maskuline Matrone. Natürlich nur auf den ersten Blick. Natürlich sollte man jeder Einzelnen eine Chance geben, natürlich war es unschön von Wencke, vorab Urteile über diese Frauen zu fällen. Immerhin war sie eine von ihnen. Welche Rolle ihr in den Augen der anderen wohl zugeschoben wurde? Denn dass wohl jeder zumindest Anflüge hatte, andere zu kategorisieren, stand für Wencke fest. Davon konnte sich keiner freimachen.
    Wencke schaute kurz an sich herunter und strich sich durch das kurze, rot gefärbte Haar. Wahrscheinlich war sie die sportive Powerfrau. Oder die coole Karrieretante. Durch ihre Körpergröße, das wusste Wencke, wurde sie jedoch oft auch als niedliche Kindfrau angesehen. Die großen, runden Augen, das breite Grinsen und die Stupsnase taten ihr Übriges. Auch wenn sie mit ihrem Outfit, meist Jeans und Lederjacke, noch so sehr dagegen ansteuerte. Sie wurde nicht selten um fünf bis zehn Jahre jünger geschätzt. Manche Menschen duzten sie noch. Meistens ungefragt, was insbesondere bei Verhören ziemlich nervig war und oft die reinste Provokation darstellte.
    Plötzlich war die Veranstaltung zu Ende. Wencke hatte – ganz in Gedanken versunken – komplett den Faden verloren, und es kam ihr vor, als wäre sie von der aufwallenden Geräuschkulisseaus dem Tiefschlaf gerissen worden. Die Ladys erhoben sich, einige steuerten relativ zielstrebig aufeinander zu und fingen ein Gespräch an. An Wencke wandte sich keine. Sie blieb noch einen Moment auf ihrem Stuhl sitzen und dachte an Zigaretten. Seit sie die Schwangerschaft festgestellt hatte, hatte sie nicht mehr geraucht. Es war ihr zwar leichter gefallen, als sie es jemals für möglich gehalten hätte. In diesem Moment hätte sie jedoch zu gern in die kleine Pappschachtel gegriffen und die vertrauten, weich-warmen Tabakstängel zwischen ihren Fingern gespürt.
    «Ich glaube, man hat uns an denselben Tisch gesetzt», sagte eine leise Stimme neben ihr. «Ich war heute Mittag schon da, und da sagte man mir, ich würde mit einer Frau aus Ostfriesland zusammensitzen. Das bist dann ja wahrscheinlich du.»
    Wencke drehte sich nach links. Nina Pelikan lächelte sie an. Hatte sie nicht eben erzählt, dass sie siebenundzwanzig Jahre alt sei? Sie sah älter aus. Vielleicht lag es daran, dass sie so blass und etwas zu mager war. Nina Pelikan hatte mit Sicherheit nie Probleme damit, von irgendjemandem ungefragt geduzt zu werden.
    «Der Mattis, mein Sohn, sitzt auch bei uns. Ich hoffe, es macht dir nichts aus. Er benimmt sich in der Regel anständig.»
    «Kein Problem», sagte Wencke.
    «Er ist ja schon zehn», erklärte die Frau.
    «Ich freue mich, ihn kennen zu lernen», schwindelte
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