Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Vorzüge der Dunkelheit: Neunundzwanzig Versuche die Welt zu verschlingen. Horrorroman. (German Edition)

Die Vorzüge der Dunkelheit: Neunundzwanzig Versuche die Welt zu verschlingen. Horrorroman. (German Edition)

Titel: Die Vorzüge der Dunkelheit: Neunundzwanzig Versuche die Welt zu verschlingen. Horrorroman. (German Edition)
Autoren: Ror Wolf
Vom Netzwerk:
trugen, an die ich mich nicht erinnere, Schußwaffen zum Beispiel und Flaschen. Ich erinnerte mich nicht an sie, ich verwechselte sie mit anderen Männern, die ich später gesehen habe, in einem anderen Zimmer. Meine Angelegenheiten, meine Verhältnisse waren die gleichen geblieben. Jemand pfiff. Das war ich nicht. Jemand sagte: ein paar Worte. Das war ich auch nicht. Aber das war ich jetzt, das war ich.

    Am nächsten Morgen sah ich mich aufrecht im Bett sitzen. Das Zimmer war voll von vorübergehenden Erscheinungen, dick, dünn, lang, kurz, auftauchend und verschwindend. Jemand wurde rasch vorgestellt. Das war ich nicht. Jemand schien etwas zu fragen, das war ich auch nicht. Ich sah eine Bewegung: Jemand zog sich die Strümpfe an. Das war ich. Ja das war ich tatsächlich. Nun trat ich rasch und rauchend hinaus in die Halle. Bei mir hat sich nichts verändert, sagte ich. Weder meine Meinung, noch das Vergnügen daran, meine Meinung für mich behalten zu dürfen, deshalb auf Wiedersehn. Leben Sie wohl, sagte ich. Dann schlug ich eine ganz andere Richtung ein.
    Später begann ich am Fenster zu komponieren, ich fing an, auf die Fensterscheiben zu klopfen, man konnte auch sehen, wie ich mich über das Grammophon beugte, ich sehnte mich damals nach Ruhe, das Ärgerliche aber war, glaube ich, dieses Grammophon, das nicht aufhören wollte zu spielen, deshalb beugte ich mich über das Grammophon, um herauszubekommen was es war, was nicht aufhören wollte zu spielen. Es war nichts Besonderes, nur eine kleine Musik, wirklich nichts von Bedeutung, darüber beugte ich mich, über diese kleine Musik, bis zum Ende des Satzes.
    Wie gefällt Ihnen das, fragte Doktor Q Ende Mai. Es gefällt mir nicht, sagte ich, außerdem fällt mir das Atmen schwer. Darüber sollten Sie etwas schreiben, sagte Q: Das Atmen. Schreiben Sie etwas über das Atmen: Das Atmen fällt mir schwer. Schreiben Sie das.
    Anfang Juni stand ich auf und ging fort. Ich verschwand. Hinter mir flog krachend die Tür zu. Dann ging ich ein Stück zu Fuß, vorbei an den hüpfenden Mauern, und dann ging ich, als sei gar nichts Besonderes vorgefallen, die Treppe hinauf, irgendeine Treppe hinauf an diesem Abend, an dem der Mond vorbeischwirrte und in der Ferne zerspritzte.
    Ich konnte damals in nahezu zwanzig Sprachen den Satz: Wo geht es zum Bahnhof sagen, das genügte zum Wegfahren. Ich fuhr nun von einem Teil der Welt in den anderen. Ich sah und erlebte viel und wahrscheinlich habe ich alle Geschichten, die ich von nun an erzählen werde, schon einmal erzählt; ich finde aber, daß es sehr schöne Geschichten sind, und man wird nichts dagegen haben, wenn ich sie hier noch einmal erzähle, nicht jetzt, nicht in diesem, aber in einem der nächsten Kapitel.



M itte Juli saß ich im Brauhaus vor einem Bier und hörte die Stimmen der Gäste aus einer vom Rauch vernebelten Ecke. Hier bin ich wieder, dachte ich. Ich beugte mich über den Teller mit Eisbeinfleisch und geplatzten Kartoffeln. Wie geht es Ihnen, fragte der Mann neben mir. Es geht mir recht gut. Mein Bein macht mir etwas zu schaffen, aber nur wenn ich gehe.
    Immer wenn man sich umsieht, sieht man ein Stück von sich liegen, sagte der Mann neben mir, man zerfällt langsam, sagte er Ende Juli. Man atmet ein und man atmet aus: Nur Luft. So ist das. Sehen Sie: Luft. Alles Luft. Jemand hatte die Hände gehoben und sie dann auf den Tisch fallen lassen. Ich sah einen nassen Fleck auf der Tischdecke und einen Buckel, es war, als bewege sich etwas unter der Decke, als bewege es sich und laufe davon, unter der Decke, eine Beule, eine bewegliche Beule. Eine Fleischplatte wurde vorübergetragen, dampfend, ich wollte noch etwas sagen, nur ein paar Worte, ich entschied mich aber für eine andere Möglichkeit: für die Lautlosigkeit. Ende Juli hörte ich nur noch das Gabelklappern, das Gabelklappern und das Schlucken das Schlucken das Schlucken.
    Es wurde Abend, ich wunderte mich aber nicht. Sonntag, Montag. Der Mann neben mir erhob sich, er sagte etwas und ging. Das war am 8. August. Am 9. August stieg aus dem Umkreis der Gemüsehallen eine große Zigarre empor. Das Wetter war still und freundlich, die Zigarre erhob sich leicht und weich und glitt über das Schlachthofgelände. Die Spaziergänger sahen mit größtem Erstaunen, wie diese Zigarre einen sehr schönen Bogen beschrieb und in die Ferne schwebte. Allmählich fiel die Zigarre hinter den Horizont hinab, ein unvergeßlicher Augenblick in meinem Leben. Wie immer die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher