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Die Voegel der Finsternis

Titel: Die Voegel der Finsternis
Autoren: Victoria Hanley
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beiden Männer nun das Dokument unterzeichneten, das ihr Leben in die Hände eines neuen Besitzers legte. Kelche klirrten, als sie sich gegenseitig zuprosteten, und sie vernahm das Klingen von Münzen.
    Schritte näherten sich ihrem Versteck und sie presste sich noch enger an die Wand. Sie hatte Angst, dass Lord Morlen sie riechen könnte wie ein Bluthund die Beute. Aber sie hörte Morlens Stimme vom anderen Ende des Raumes - es war Indol, der sich näherte. Er schien zu einer der Truhen zu gehen, die sie an der Wand hatte stehen sehen. Quietschend öffnete sich ein Deckel und fiel mit einem dumpfen Aufschlagen wieder zu. Maeves Atem ging in hastigen, leisen Stößen. Die Schritte entfernten sich wieder. „Es war mir ein Vergnügen, Lord Morlen."
    Die Tür ging auf und schloss sich hinter den beiden Männern. Maeve befreite sich aus ihrem engen Versteck.
    Sie achtete nicht auf ihre schmerzenden Beine und kroch an den Truhen entlang, befühlte das Holz mit ihren Händen und horchte in sich hinein, ob sie irgendwo Lord Indols jüngste Berührung spüren konnte. Hier, ihre Gabe ließ sie nicht im Stich. Das ist die Truhe. Maeve versuchte, den Deckel zu lüften. Er war verschlossen. Sie lehnte sich zurück und stemmte ihre Füße gegen den Deckelrand. Mit den Armen stützte sie sich am Boden ab und presste. Mit einem lauten Knirschen zersplitterte eine Ecke des Deckels. Sie langte in die Truhe und ertastete einen weichen Lederbeutel, durch den sie die großen Geldstücke spürte. Ihr Preis.
    Jeder, der die beschädigte Truhe sähe, würde Alarm auslösen. Maeve nahm eine Decke, die über einer benachbarten Truhe lag, und breitete sie über die zersplitterte Truhe. Dann sammelte sie die verstreuten Holzsplitter ein, legte sie in den Lederbeutel mit den Münzen und betete, der Sklave, der abends zum Aufräumen käme, würde zu müde sein, um den Raum genau zu inspizieren. Sie musste fort, doch wie, ohne gesehen zu werden? Die Flure im Herrenhaus waren wahrscheinlich deshalb wie leer gefegt, weil niemand es wagte, Lord Morlen unter die Augen zu treten. Bald aber würde wieder der Alltag einkehren. Sie musste unverzüglich gehen, bevor die Sklaven und Oberinnen wieder zurückkehrten. Unbeholfen stopfte sie das Diebesgut in ihr Hemd. Dort rutschte es bis zu ihrer Hüfte hinunter, wo es von der
    Schnur, die ihr als Gürtel diente, aufgehalten wurde. Sie faltete ihre Arme über die Ausbuchtung und huschte aus dem Zimmer.
    Lila wünschte sich oft, sie hätte ihrer Tochter ihr richtiges Gesicht zeigen können, ihr Gesicht aus der Zeit, als sie noch Lila die Schöne war. Nur die Augenpartie war unversehrt geblieben. Eine gezackte Narbenlinie zog sich über Wangen, Stirn und Kinn - sie hatte es selbst gesehen, denn Lord Hering hatte ihr einen Spiegel vorgehalten, um sie noch mehr zu strafen. Und das alles nur, weil sie sich für die Liebe entschieden und sich geweigert hatte, den Namen des Vaters ihres Kindes zu nennen. Bis heute.
    Maeve kniete auf ihrem Strohlager. Sie trug das Seidenkleid, das Lila für sie genäht hatte. Es passte genau. „Woher wusstest du, Mutter, dass heute Abend alles anders werden würde?" Sie blickte auf die weichen Falten ihres Kleides. Tränen stahlen sich aus ihren Augen. „Ich muss dir etwas zeigen." Sie wühlte in ihrer Decke und zog ein Goldstück hervor. „Ich habe fünfzig davon", sagte sie und ihre liebliche Stimme bebte. „Das wird reichen, um zu fliehen." Lila traute ihren Augen nicht. „Fünfzig Delans?" „Mein Preis." Maeve reckte ihr Kinn. „Aber wie ... ?"
    „Ich habe es gestohlen. Lord Indol hat mich verkauft. An Lord Morlen."
    „Lord Morlen", flüsterte Lila entsetzt. Ein reißender Fluss schien plötzlich durch ihre Adern zu strömen, der zu stark war, als dass ihr Herz ihn hätte steuern können. „An Lord Morlen verkauft? Hast du ihm denn von Angesicht zu Angesicht gegenübergestanden?" Ja. Heute."
    Gott gebe mir die Kraft, ihr die Wahrheit zu sagen. „Hör genau zu, Maeve. Dein Vater hieß Cabis Denon." Endlich spreche ich aus, was ich achtzehn Jahre lang in meinem Herzen bewahrt habe!
    Seide raschelte, als Maeve Lila in die Arme schloss. „Mutter!"
    Lila drückte ihre Tochter an sich, dann wich sie zurück, um sie genau zu betrachten. „Deine Augen sind wie seine, Maeve. Babys werden oft mit solchen Augen geboren — ich nannte die Farbe früher das unendliche Blau. Nur wenige Menschen behalten sie. Er hatte solche Augen. Und du auch, Maeve." Maeve holte tief Luft und
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