Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Violine von Auschwitz: Roman (German Edition)

Die Violine von Auschwitz: Roman (German Edition)

Titel: Die Violine von Auschwitz: Roman (German Edition)
Autoren: Maria Àngels Anglada
Vom Netzwerk:
einmal gehört hatte … Nein, das Stück war ihm unbekannt, es handelte sich um ein noch unaufgeführtes Werk Climents. Und plötzlich durchfuhr es ihn wie ein Blitz: Diese Unbekannte spielte auf Daniels Geige, auf der Geige aus dem Lager. Ja, das wusste er mit einem Mal ganz genau.
    Nach der gelungenen Interpretation des Trio de Mytilene war das Mädchen – so bezeichnete er alle Frauen, die noch nicht alt waren – auf ihn zugegangen:
    »Sehen Sie sich die Geige an, erkennen Sie sie wieder? Ich bin Regina, Daniels Tochter.«
    Regina streichelte erst die Geige, legte sie dann in seine Hände, drückte ihm einen Kuss auf die Stirn und sagte: »Ich habe das Gefühl, dich schon lange zu kennen.« Er betrachtete das Instrument von oben bis unten genau, berührte es; es war eindeutig die Geige seines Freundes, die nun von den Händen des Mädchens zum Klingen gebracht worden war. Er runzelte die Stirn:
    »Die Tochter? Er hat mir nur von einer Nichte erzählt.«
    Die anderen Freunde standen etwas abseits, und er sah, wie Ingrid sie in sein Arbeitszimmer führte.
    »Ich wollte meine Erinnerungen an damals aus dem Gedächtnis streichen«, sagte er zu Regina, »doch es ist mir nie gelungen.«
    Dann brach die Frage aus ihm hervor, die ihn so oft gequält hatte:
    »Hat Daniel überlebt?«
    Beide unterhielten sich – ohne groß darüber nachzudenken – nicht auf Jiddisch, das die Frau nie gelernt hatte, sondern auf Polnisch. Der Geigenbauer hatte überlebt, erzählte Regina sanft, doch war er sehr jung gestorben, als sie erst siebzehn war. Und sie war tatsächlich seine Tochter, denn er und Eva hatten sie nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus adoptiert. Sie hatte damals schon Geige gespielt, fügte sie hinzu, weil Rudi, ein Verwandter und ebenfalls Musiker, ihr bereits mit fünf Jahren die Grundkenntnisse beigebracht hatte.
    Er war glücklich, die Tochter Daniels jetzt im hohen Alter kennenzulernen. Sie war gewiss nie aus Polen hinausgekommen, und er hatte niemals dorthin zurückkehren wollen … Er hatte alle Bindungen, die wenigen, die ihm die Vernichtung gelassen hatte, abgebrochen.
    »Das kann ich gut verstehen«, sagte das Mädchen, als er es ihr erklärte, »Eva wollte auch nie über diese Zeit sprechen; sie war immer unterwegs, trank ein bisschen zu viel, ließ nie Erinnerungen aufkommen. Mit zwölf Jahren habe ich von meinem Vater erfahren, dass sie in Auschwitz auf unmenschliche Weise sterilisiert worden war und noch immer häufig an Unterleibsschmerzen litt.« Daniel hingegen hatte Regina, im Gegensatz zu seiner Frau, wieder und wieder an seinen Erinnerungen teilhaben lassen, vielleicht weil seine Schatten dort stets von einem Hoffnungsschimmer begleitet gewesen waren: Es war ihm gelungen, die Geige fertigzubauen.
    Mit der Stimme des Mädchens erzählt, schmerzten Bronislaw die alten Wunden nicht mehr. Als Daniel nach der Befreiung aus dem Lager ins Krankenhaus gebracht worden war, konnten die Ärzte – wie ihr Daniel berichtet hatte – nicht fassen, dass er es geschafft hatte zu überleben. Auch danach hatte es monatelang schlecht um ihn gestanden, er hatte lange zwischen Leben und Tod geschwebt, als stünde er an einer Wegscheide. Die anderen beiden Musiker, Bronislaws Partner, waren bereits im ersten Winter nach der Abfahrt des Schwedischen Transports gestorben. Eines Tages jedoch war der Wendepunkt gekommen, und Daniel hatte sich für das Leben entschieden. Er hatte Regina von dem Besuch seines alten Kameraden, des Mechanikers, in allen Einzelheiten erzählt, es war, als ob sie selbst dabei gewesen wäre:
    »Sein Kamerad ist im Krankenhaus aufgetaucht, hat sich an Vaters Bett gesetzt und ihm triumphierend die Geige gezeigt: Es ist deine, hatte er gesagt, ich habe sie für dich zurückgekauft.«
    Freund, der bald darauf in die Vereinigten Staaten emigrierte, hatte sie tatsächlich bei der Versteigerung der Besitztümer des Exkommandanten erworben, kurz nachdem das Schwein verurteilt und gehängt worden war. Rascher, der Schlächter , hatte sich das Leben genommen, bevor sie ihn an den Galgen bringen konnten. Es war die Geige und keine andere, Daniel musste die Buchstaben nicht lesen, um sicher zu sein, denn er hatte die exakte Form im Kopf, genauso wie an jenem Tag, als er begonnen hatte, das Material auszuwählen, um sie inmitten von Schrecken und Elend zu bauen. Ausgehungert, manchmal wie gelähmt von Schlägen, voll Zorn und Schmerz, hatte er im Grunde seines Herzens immer die Hoffnung gehabt –
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher