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Die Violine von Auschwitz: Roman (German Edition)

Die Violine von Auschwitz: Roman (German Edition)

Titel: Die Violine von Auschwitz: Roman (German Edition)
Autoren: Maria Àngels Anglada
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durfte auf keinen Fall durch sein Verhalten Aufmerksamkeit erregen, vielleicht neidete ihm schon der eine oder andere Mithäftling die zwei Schluck Bier, das konnte doch sein! Um sich Mut zu machen, dachte er an Freund und an Bronislaw, der sicherlich den ganzen Vormittag damit zugebracht hatte, Rüben zu schneiden und Töpfe zu reinigen, mit seinen goldenen Händen, die die Saiten zum Klingen brachten, mit seinen Fingern, die eines Tages am Griffbrett dieser im Lager gebauten Geige entlanggleiten würden. Er dachte an den Künstler, nicht an den Kommandanten, der das gar nicht verdiente. Bei diesen Gedanken fand er die Suppe besser als sonst, und er ertrug gelassen die Scherze, die die Kameraden über seine Schminke machten, er selbst hatte sie schon längst wieder vergessen. Am Abend würde er Zeit haben, sie abzuwaschen, heute war er mit dem Duschen an der Reihe, jetzt aber musste er sich um sein Essen kümmern. Wie so oft zu dieser Stunde kamen ihm die Mahlzeiten in den Sinn, die seine Mutter zubereitet hatte; mit der Zeit überlagerte die Erinnerung an seine Mutter das verschwimmende Bild Evas. Die Mutter und die kleine Regina. Er dachte an den Geruch, der ihm manchmal schon auf der Treppe verraten hatte, was es zu essen gab: Fleischbrühe mit Nudeln, dicke Gemüsesuppe oder Teigwaren mit gehackten Nüssen auf einem stets schön gedeckten Tisch, und daneben, immer wenn es Fleisch gab, der »Käsetisch«. Das alles lag lang zurück, vor den im Ghetto verbrachten Wochen und Monaten. Und jetzt bekamen sie Rüben und nochmals Rüben, Rübensuppe und fertig!
    Er fühlte eine vertraute, freundschaftliche Hand auf seiner Schulter: Der Professor, nun Bäcker, steckte ihm heimlich eine kräftige Scheibe Brot zu, die er in der Backstube abgezweigt hatte. Das war gefährlich, sie konnten ihn dafür züchtigen oder sogar töten, aber manchmal ging er das Risiko ein und verteilte dann die Brotstücke gerecht unter den Barackenkameraden, um Neid zu vermeiden. Daniel konnte sich schon nicht mehr daran erinnern, wann er zuletzt an der Reihe gewesen war. Diese kleinen Verschwörungen inmitten des Elends wärmten die Seele. Der Professor hatte Glück, in der Bäckerei zu arbeiten, aber er verdiente es auch, da er nie seine Freunde vergaß.
    Durch die zusätzliche Ration Brot gestärkt stellte sich Daniel in die Reihe, die sich unter strenger Aufsicht zur Fabrik begab; niemandem entging die Ankunft des Lastwagens mit seiner unglückseligen Fracht.
    Als ein Kamerad sich nach den Neuankömmlingen umdrehte, traf ihn ein Faustschlag, der ihn ins Wanken brachte. Trotzdem ging er rasch weiter, damit kein weiterer folgte. Hoffentlich tritt er nicht aus der Reihe, dachte Daniel, die bringen ihn sonst ohne viel Aufheben um, wie neulich Dénes.
    Es kam ihm vor, als befände er sich seit einer Ewigkeit im Lager, gleichzeitig schien ihm seine Ankunft erst ein paar Tage zurückzuliegen. Das sprachlose Erstarren, die Schreie »Raus!«, die niedersausenden Schläge, das demütigende Ritual. Die langen Stunden, die sie im Stehen, nackt bei Eiseskälte, damit zubrachten zu warten, um für die elende, perverse Prozedur an die Reihe zu kommen; dann das schonungslose Rasieren an Gesicht und Körper, das von den gefürchteten Mithäftlingen mit den grünen Winkeln vorgenommen wurde, die unauslöschliche Tätowierung, das Kurzscheren der Haare, das Besprühen mit Desinfektionsmitteln, als wären sie Pflanzen, die Angst, in die Duschen zu gehen, denn es könnte schließlich auch tödliches Gas ausströmen und nicht Wasser, das zwar eisig, aber unschädlich war, wenn man es nicht zu lange über den Körper laufen ließ. Manchmal machten sich die Kapos allerdings den Spaß, sie erst aus den Duschräumen zu lassen, wenn sie schon vor Kälte zitterten. Die Schläge, wenn man den Befehlen nicht unverzüglich Folge leistete oder zu langsam marschierte, die Schreie und das Weinen derer, die noch Frauen oder Kinder hatten, die ihnen entrissen worden waren. Die trotzigen Augen des Zigeuners, der die Reihe wechselte und sich an die Seite seines alten Vaters und seines kleinen Sohnes stellte, um mit ihnen gemeinsam in den Tod zu gehen.
    Während Daniel unbeirrt weitermarschierte, um nicht ebenfalls Schläge abzubekommen, erinnerte er sich wieder daran, wie man ihn und alle anderen Neuankömmlinge beim Verlassen des vollgepferchten Lastwagens mit Beschimpfungen überschüttet hatte, wobei das stets wiederholte »Blöde Hunde!« noch am harmlosesten war. Wie am
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