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Die Violine von Auschwitz: Roman (German Edition)

Die Violine von Auschwitz: Roman (German Edition)

Titel: Die Violine von Auschwitz: Roman (German Edition)
Autoren: Maria Àngels Anglada
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Wochenendhaus fahren, das am Ufer eines von Birken gesäumten Sees lag, über den Enten und Schwäne glitten. Niemals mehr wollte er Schweden, das Land, das ihnen Zuflucht gewährt hatte, verlassen. Niemals. Seine Gefangenschaft war nicht ohne Spuren geblieben: Er hatte eine ununterdrückbare, irrationale Angst vor Reisen und davor, aus diesem Land fortzugehen. Aus diesem Grund hatte er auch bald auf Konzerttourneen verzichtet, sie bescherten ihm Alpträume, er war höchstens für den einen oder anderen Auftritt in die Nachbarländer gereist, nach Dänemark oder Norwegen, die Heimat von Sibelius, wo er sich sicher fühlte. Sobald er seine Papiere in Ordnung gebracht und die schwedische Staatsbürgerschaft erlangt hatte, hatte er einen Lehrstuhl am Konservatorium angenommen. Seine seltenen Konzerte fanden höchste Anerkennung, und bald kamen Geiger aus aller Welt, um die Kunst des Fingersatzes und der klassischen Kadenz von ihm zu erlernen.
    Nein, sagte er sich jetzt, er würde die Follia nie wieder vortragen. Er hatte sie erstmals und mit ganzer Seele vor dem gehassten Tyrannen auf der Geige gespielt, die sein Freund unter größter Anstrengung gebaut hatte. Es kam ihm so vor, als ob seitdem noch nicht viel Zeit vergangen war. Sie hatten beide den Gedanken nicht ertragen können, das wunderschöne Instrument dem Kommandanten zu überlassen, sie hatten sogar Pläne geschmiedet, es auszutauschen. Am Tag nach der Aufführung hatte Bronislaw nicht gewusst, wie er Daniel beruhigen, seine Zweifel noch einmal zerstreuen sollte, denn man hatte ihnen nur gesagt, dass sie »bis auf weiteres« an ihrem Arbeitsplatz bleiben würden. Kein einziges Wort war von den verhassten Lippen über das künftige Schicksal des Geigenbauers zu hören gewesen. Hatte er die Geige rechtzeitig abgeliefert? Sie glaubten es zwar, aber sie wussten es nicht, und diese Ungewissheit war für Daniel schwer zu ertragen gewesen.
    Einige Tage nach der Einweihung des Instruments erzählte ihm der Geigenbauer eines Abends, dass Sauckel ihn am Tag zuvor gegen Mittag aus der Tischlerei hatte holen lassen; er schilderte in allen Einzelheiten, wie man ihn zum Haus des Kommandanten gebracht und ihm dieser – das war in der Tat ungewöhnlich – zur Geige gratuliert hatte. Wie er, Daniel, vor ihm strammstand, während sein Herz heftig schlug und er darauf wartete, endlich von der Ungewissheit erlöst zu werden und den Händen Raschers entkommen zu sein. Da hörte er den Nachsatz:
    »Ich habe beschlossen, dich zu belohnen, obwohl du nur deine Pflicht erfüllt hast.«
    Mit Mühe brachte Daniel ein »Vielen Dank« über die Lippen. Doch was dann folgte, entsprach nicht im Geringsten seiner Erwartung; der Kommandant wandte sich an seinen Adjutanten und sagte:
    »Bringt ihn in die Küche und gebt ihm etwas zu essen. Schnell, die Fabrik ruft.«
    Die Enttäuschung hatte ihm beinahe den Hunger genommen, aber einmal in der Küche angelangt, verschlang er dennoch das Fleisch und Gemüse, das ihm die Köchin vorsetzte. Den ganzen Nachmittag – so berichtete er Bronislaw – war er bei der Arbeit den Gedanken nicht losgeworden, das Schwein würde ein Spiel mit ihm treiben, in der Annahme, dass der Musiker und er über die Wette Bescheid wussten und nun auf deren Ausgang warteten. Der Geiger sollte sogleich alle weiteren Einzelheiten erfahren.
    Am Tag nach der warmen Mahlzeit holte ein Kapo Daniel und einen noch jüngeren Tischler aus der Werkstatt:
    »Mitkommen!«
    Sie legten ihre Werkzeuge nieder und hatten Mühe, ihm zu folgen, da er im Gegensatz zu ihnen richtige Schuhe trug und sich deshalb ohne Beeinträchtigung bewegte.
    »Schnell, schnell!« Er wandte den Kopf und drängte sie zur Eile.
    »Marsch, ihr Faulpelze! Wir werden im Haus des Sturmbannführers erwartet, ein Lieferwagen ist abzuladen.«
    Er bereut es schon, mich beglückwünscht zu haben, dachte der Geigenbauer, und nun soll ich die Mahlzeit abgelten, indem er mich Kisten abladen lässt und mir so zeigt, dass ich durch den Bau der Geige keinerlei Privilegien habe. Nicht zum ersten Mal unterbrachen ihn derartige Befehle bei der Arbeit. Er wunderte sich allerdings, dass Sauckel mit dem Hund an seiner Seite auf dem Treppenabsatz vor dem schon zum Teil bepflanzten Wintergarten stand und das Treiben überwachte. Doch bald verstand er, warum, es waren nämlich neue Pflanzen eingetroffen. Also gingen sie zum Lieferwagen, und Daniel lud, den Anweisungen folgend, drei große Rosenstöcke ab, einen nach dem anderen.
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