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Die vierzig Geheimnisse der Liebe / ebook

Die vierzig Geheimnisse der Liebe / ebook

Titel: Die vierzig Geheimnisse der Liebe / ebook
Autoren: Elif Shafak
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erzählen wollte? Was, wenn er glaubte, ich hätte mir im Weinrausch alles nur eingebildet? Und vielleicht war es ja auch so. Nicht einmal ich selbst konnte da sicher sein.
    »Sie wollen dich töten«, sagte ich. »Ich weiß nicht, wer sie sind, ich habe ihre Gesichter nicht gesehen. Ich habe nämlich geschlafen … Aber geträumt habe ich es nicht. Das heißt, ich hatte schon einen Traum, aber der handelte von etwas anderem. Und betrunken war ich auch nicht. Na gut, ein paar Gläser, aber ich war nicht …«
    Schams legte mir die Hand auf die Schulter. »Beruhige dich, mein Freund. Ich verstehe schon.«
    »Wirklich?«
    »Ja. Geh jetzt zurück in die Schenke und sorge dich nicht um mich.«
    »Nein, ich gehe nirgendwohin und du auch nicht! Diese Leute meinen es ernst. Du musst auf der Hut sein. Du kannst nicht in Rumis Haus zurück. Dort suchen sie dich als Erstes.«
    Schams schwieg. Er schien meine Angst gar nicht zu bemerken.
    »Hör zu, Derwisch, mein Haus ist klein und ein wenig stickig. Aber wenn dir das nichts ausmacht, kannst du bei mir bleiben, so lange du willst.«
    »Danke für deine Besorgtheit«, murmelte Schams. »Doch geschieht nichts, was Gott nicht will. Denn eine der Regeln lautet: Die Welt ist auf dem Prinzip der Wechselseitigkeit errichtet. Nicht die kleinste Freundlichkeit und nicht ein Fitzelchen Böses bleibt unerwidert. Fürchte nicht die Hinterlist, die Tücke und die Winkelzüge der anderen. Wenn jemand eine Falle stellt, dann stellt auch Gott eine Falle. Seine Pläne sind die größten. Nicht einmal ein Blatt regt sich, ohne dass Gott davon weiß. Glaube einfach und von ganzem Herzen daran. Was Gott tut, tut Er aufs Wunderbarste.«
    Schams zwinkerte mir zu und hob zum Abschied die Hand. Ich sah ihm nach, wie er trotz meiner Warnung rasch durch die schlammigen Straßen auf Rumis Haus zustrebte.

DER MÖRDER
    KONYA, MÄRZ 1248
    B anausen! Idioten! Und dabei hatte ich ihnen verboten mitzukommen. Ich arbeite immer allein, erklärte ich ihnen, und ich hasse es, wenn sich die Kundschaft in meine Geschäfte einmischt. Aber sie bestanden darauf mit der Begründung, da der Derwisch übernatürliche Kräfte besitze, müssten sie sich mit eigenen Augen von seinem Tod überzeugen.
    »Also gut«, sagte ich schließlich. »Aber haltet euch fern, bis alles vorbei ist!«
    Damit waren sie einverstanden. Drei Männer waren es inzwischen: die beiden, die ich von dem früheren Treffen her kannte, und ein weiterer, genauso jung und angespannt wie die anderen. Sie hatten ihre Gesichter mit schwarzen Tüchern verhüllt. Als ob ich etwas darauf gegeben hätte, wer sie waren!
    Nach Mitternacht langte ich vor Rumis Haus an. Ich sprang über die Steinmauer in den Hof und versteckte mich hinter einem Strauch. Meine Auftraggeber hatten mir versichert, dass Schams-e Tabrizi jede Nacht vor oder nach der rituellen Waschung im Hof meditierte. Ich brauchte also nur zu warten.
    Die Nacht war windig und ungewöhnlich kühl für die Jahreszeit. Das Schwert lag schwer und kalt in meiner Hand. Die beiden Korallenperlen, die den Griff zierten, fühlten sich rau an unter meinen Fingern. Für alle Fälle hatte ich auch einen kleinen, in einer Scheide steckenden Dolch mitgenommen.
    Der Mond war von einem blassblauen Schleier umgeben. In der Ferne heulten und kreischten die Tiere der Nacht, und der Wind, der die Äste der Bäume zum Schwanken brachte, sandte mir den süßen Geruch von Rosen. Seltsamerweise bereitete mir dieser Geruch Unbehagen. Schon bevor ich das Haus erreicht hatte, war ich nicht in bester Stimmung. Doch jetzt war es noch ärger geworden. Als ich so dastand, eingehüllt in diesen übertrieben süßen Geruch, überkam mich der Drang, den ganzen Plan fallen zu lassen und diesem schaurigen Ort sofort den Rücken zu kehren.
    Aber ich hielt mein Wort und blieb. Ich wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war. Die Lider wurden mir schwer, und ich musste immer wieder gähnen. Während der Wind auffrischte, suchten, warum auch immer, nacheinander, düster und quälend, alle Menschen, die ich getötet hatte, meine Erinnerung heim. Meine Beklemmung verwunderte mich. Eigentlich brachte es mich nicht aus der Ruhe, wenn ich an die Vergangenheit dachte. Grüblerisch und verschlossen meinetwegen und hin und wieder auch verdrießlich, aber nie war ich sonst so angespannt.
    Ich pfiff ein paar Lieder, um meinen Kampfgeist zu stärken, und als das nicht half, heftete ich den Blick auf die Hintertür des Hauses und flüsterte: »Nun komm
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