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Die vierzig Geheimnisse der Liebe / ebook

Die vierzig Geheimnisse der Liebe / ebook

Titel: Die vierzig Geheimnisse der Liebe / ebook
Autoren: Elif Shafak
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Auftraggeber stand, aber das ging mich nichts an. Meine Aufgabe war es zu töten, und nicht, die Gründe dafür herauszufinden. Seit ich Alamut vor einigen Jahren verließ, ist dies das Leben, das ich selbst gewählt habe.
    Ich stelle ohnehin kaum Fragen. Warum auch? Mindestens einen Menschen wären die meisten Leute, die ich kenne, gern los. Dass sie nichts unternehmen, heißt nicht unbedingt, dass sie gegen den Wunsch zu töten gefeit sind. Jeder hat die Fähigkeit in sich, irgendwann einen anderen umzubringen. Aber das verstehen die Leute erst, wenn es passiert. Sie halten sich für unfähig zu morden. Dabei ist es nur eine Frage der Umstände. Manchmal reicht schon eine Geste, um den Zorn zu entfachen. Schon ein mutwilliges Missverständnis, ein Streit um nichts und wieder nichts oder einfach das Pech, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein, kann in normalerweise guten, anständigen Menschen etwas Zerstörerisches auslösen. Jeder kann töten. Aber nicht jeder kann kaltblütig einen Fremden töten. Und genau da komme ich ins Spiel.
    Ich erledigte die dreckige Arbeit für andere. Selbst Gott erkannte, dass es in Seinem heiligen Plan Menschen wie mich geben muss, denn Er übertrug Azrael, dem Erzengel des Todes, die Aufgabe, das Leben der Menschen zu beenden. So fürchteten, verfluchten und hassten die Menschen den Engel, während Seine Hände rein und Sein Name unbefleckt blieb. Das war dem Engel gegenüber ungerecht. Aber diese Welt ist ja auch nicht für ihre Gerechtigkeit bekannt …
    Als es dunkel wurde, ging ich zu der Schenke. Zufällig saß am Tisch beim Fenster ein narbengesichtiger Mann, der tief zu schlafen schien. Zuerst wollte ich ihn wecken und ihm sagen, er solle sich verziehen, aber bei Betrunkenen weiß man ja nie, und ich durfte auf keinen Fall zu viel Aufmerksamkeit erregen. Deshalb setzte ich mich an den Nebentisch, mit dem Gesicht zum Fenster.
    Kurz darauf kamen zwei Männer und ließen sich rechts und links von mir nieder, um ihre Gesichter nicht zeigen zu müssen. Aber ich brauchte sie nicht erst anzusehen, um zu wissen, dass sie ganz jung waren und bar jeder Vorstellung, was sie erwartete.
    »Du bist uns besonders empfohlen worden«, sagte der eine, eher zögerlich als ängstlich. »Angeblich bist du der Beste.«
    Aus seinem Mund klang das komisch, doch ich verkniff mir ein Grinsen. Ich spürte, dass sie Angst vor mir hatten, und das war gut. Wenn sie ängstlich genug waren, würden sie es nicht wagen, sich mit mir anzulegen.
    »Ja«, sagte ich, »ich bin der Beste. Deshalb nennt man mich Schakalkopf. Ich habe noch nie einen Kunden enttäuscht, ganz gleich, wie schwierig der Auftrag war.«
    »Gut.« Der junge Mann seufzte. »Es könnte nämlich eine schwierige Sache werden.«
    Jetzt mischte sich der andere ein. »Es gibt da einen Mann, der hat sich ein paar Feinde zu viel gemacht. Seit er hier in der Stadt ist, gibt es nur Ärger mit ihm. Wir haben ihn schon mehrmals gewarnt, aber er hört nicht auf uns. Stattdessen ist er noch streitsüchtiger geworden. Er lässt uns einfach keine Wahl.«
    Es war immer dasselbe. Jedes Mal wollten sich die Auftraggeber erklären, bevor wir handelseinig wurden, als könnte meine Billigung die Bedeutung dessen, was sie vorhatten, in irgendeiner Weise mindern.
    »Ich weiß, was ihr meint. Und wer ist es nun?«, fragte ich.
    Zunächst waren sie nicht gewillt, mir den Namen zu nennen, sondern gaben mir nur eine vage Beschreibung.
    »Er ist ein Ketzer, der nichts mit dem Islam zu tun hat, ein aufmüpfiger Mensch, frevelhaft und gotteslästerlich. Ein widerspenstiger Derwisch.«
    Kaum hatte ich dieses letzte Wort gehört, breitete sich eine Gänsehaut auf meinen Armen aus, und meine Gedanken wirbelten durcheinander. Ich hatte schon alle möglichen Menschen getötet, junge und alte, Männer und Frauen, aber ein Derwisch, ein Mann des Glaubens, war nicht darunter gewesen. Ich war abergläubisch und wollte nicht den Zorn Gottes auf mich ziehen, denn trotz allem glaubte ich an Gott.
    »Diesen Auftrag werde ich leider ablehnen müssen. Ich will keinen Derwisch töten. Sucht euch einen anderen.«
    Mit diesen Worten stand ich auf. Als ich mich schon zum Gehen wenden wollte, packte mich einer der Männer an der Hand und flehte mich an: »Bitte warte! Die Bezahlung wird der Mühe angemessen sein. Was auch immer du forderst, wir verdoppeln den Preis.«
    »Wie wäre es mit dreimal so viel?«, fragte ich, fest davon überzeugt, eine so große Summe würden sie niemals
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