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Die Verwandlung der Mary Ward - Roman

Die Verwandlung der Mary Ward - Roman

Titel: Die Verwandlung der Mary Ward - Roman
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Entschluß kommt.
    Dann gehen wir hinaus und an unsere jeweilige Arbeit. Wir heben einen Graben aus, hacken Holz, reparieren ein Gitter, verbrennen Bohnenkraut, misten die Schweineställe aus. Mit Mrs. Riveaux hatte er immer zusammengearbeitet. Sie hatten alles Seite an Seite erledigt, außer der Traktorarbeit. Und so will es Jeremiah auch mit mir halten. Er sagt, er sei nicht in der Lage, sich zu konzentrieren, wenn er nicht sprechen könne. »Als Mrs. Riveaux starb, kannte sie mein ganzes Leben. Ich habe es ihr in vielleicht einer Million Abschnitten erzählt. Sie kannte es besser als ich selbst.«
    Jetzt erzählt er es mir noch einmal ganz von vorn. »Mit meinem Leben, Mister Martin, ist das so: Was ich nicht habe und nie gehabt habe, ist die Gabe, zufrieden zu sein.
    Beulah sagt immer zu mir: ›Sieh dir doch dein Leben an, Jeremiah Hill, und vergleiche es mit dem Leben deiner Vorfahren, die in Georgia Sklaven waren. Meinst du dann nicht, daß du allen Grund hast, glücklich zu sein?‹
    Sie hat recht. Es gibt wohl ein paar Gründe dafür. Einer davon ist, daß ich sie habe. Und Lettie und Glorie. Und Mrs.Riveaux, die Frau des Richters, hat mich immer in jeder Hinsicht fair behandelt.
    Ich habe also allen Grund, glücklich zu sein. Ich weiß das. Und gelegentlich spüre ich ja auch wirklich, wie eine leichte Brise im August, plötzlich so etwas wie einen Hauch von Glück. Verstehen Sie? Doch das hält nie an. Ich weiß nicht, warum. So war ich schon immer, mein Leben lang. Ein leichter Hauch. Spüre ihn direkt hier im Gesicht. Und dann ist er wieder weg.«
    Wir reinigen einen Graben. Wir sind nicht weit vom Bach entfernt. Es ist ein heißer Tag, doch da unten im tiefen Graben ist es kühl.
    Ich frage: »In den Zeiten, in denen Sie nicht glücklich sind, Jeremiah, sind Sie da unglücklich ?«
    Er unterbricht seine Arbeit und denkt darüber nach. Dabei wischt er sich mit dem Ärmel seines Arbeitsanzugs übers Gesicht.
    »Unglücklich? Nein. Das wohl nicht. Das wohl nicht. Es ist nur so, daß ich immer denke, daß es noch etwas anderes geben muß. Ich kann nicht aufhören zu glauben, daß noch etwas kommen wird und ich dann glücklich bin. Wenn dieses Etwas gekommen ist. Wenn sich mir dieses Etwas gezeigt hat. Dann werde ich ein glücklicher Mensch sein.«
    Gelegentlich esse ich bei Richter Riveaux zu Abend. Er kann nicht kochen. Beulah bereitet alle seine Mahlzeiten zu und schickt Lettie und Glorie mit ihnen hinüber. Doch er tranchiert gern. Er freut sich, wenn Beulah ein Hähnchen gebraten oder einen Schinken gekocht hat. Dann schärft er erst einmal gründlich das Messer.
    Er ist nicht sehr gesprächig. Mit freundlichen Augen blickt er aufs Essen. An einem dieser Abende sagt er: »Ich war noch nie in England. Meine Frau ist öfter mit ihrer Freundin Kathleen dort gewesen. Um Shakespeare zu sehen. Man kann Shakespeare auch in Nashville sehen. Vermutlich kann man Shakespeare sogar in Alaska sehen. Doch damit gab sich meineFrau nicht zufrieden; sie wollte immer alles möglichst ursprünglich haben.«
    Nach einer Weile fügt er noch hinzu: »Mrs. Riveaux war anglophil. Unser Speiseschrank war immer voll von Cooper’s Oxford Marmalade. Ich erzähle ihr in meinen Gebeten, daß Sie hier arbeiten, und ich kann spüren, wie sie lächelt.«
    »Schade, daß ich Mrs. Riveaux nicht kennengelernt habe.«
    »Ja«, erwidert der Richter, »ja.« Dann wechselt er das Thema und sagt: »Erzählen Sie mir doch etwas von dem Bauernhof in England. Ihn gibt es doch noch, nicht wahr?«
    »Nein, er ist verkauft worden. Als mein Vater starb. Das Land ist noch da. Aber ich bin schon vor längerer Zeit weggegangen.«
    »Sie können sich nicht mehr daran erinnern, wie?«
    »Doch, ich kann mich noch daran erinnern.«
    Der Richter sitzt ganz still da. Er möchte nicht, daß sich das Gespräch wieder Mrs. Riveaux zuwendet. Er wünscht, er hätte sie nicht erwähnt. Um ihn zu trösten, fange ich an, ihm die Elm Farm zu beschreiben, mache in meiner Phantasie einen Spaziergang, hinten zur Tür hinaus über den Hof, wo Marguerite immer gepickt hat, in die Scheune, wo ich aus den Messern der Mähmaschine Schwerter machen wollte, den Weg hinunter zum Feld, wo die Hühnerhäuser lagen und Timmy Körner in die Luft geworfen hatte. Ich erzähle ihm von der Kiefer und der Reifenschaukel. Ich gehe weiter zum Fluß hinunter, zu den Brunnenkressebeeten ...
    Der Richter faltet seine Serviette zusammen und legt seine Hände ordentlich nebeneinander auf das
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