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Die Verwandlung - Blutsbande 1

Die Verwandlung - Blutsbande 1

Titel: Die Verwandlung - Blutsbande 1
Autoren: Jennifer Armintrout
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Untersuchungszwecke aufbewahrten, und die Autopsietische. Ich vermied es, auf den Tisch zu sehen, der belegt zu sein schien.
    „Hallo?“, rief ich. Durch den lauten Klang meiner Stimme zuckte ich zusammen. Der Raum war so still, dass man das Surren der Leuchtstoffröhren hören konnte. Der Spruch „Tote aufwecken“ fiel mir plötzlich ein. Ich hatte erwartet, eine Nachtschwester aus einem der hinteren Räume kommen zu sehen, aber es war niemand da. Die Glückliche war wahrscheinlich gerade eine rauchen. Ich musste selbst herausfinden, wo John Doe abgeblieben war.
    Der Kühlraum fasste sechs Bahren. Mit der großen Anzahl an Patienten, die wir heute hatten, war er sicherlich voll. Vielleicht war er sogar überbelegt, das heißt zwei Leute auf einer Bahre. Keine schöne Vorstellung.
    Ich betrat den Kühlraum und wünschte mir sofort, ich hätte mir eine Jacke mitgenommen. Draußen zeigte der Thermostat 1° C an, und das war wirklich kalt. Zitternd schaute ich mir die sechs verhüllten Bahren an, die vor mir standen. Sie waren alle in dieselbe Richtung ausgerichtet; die Füße der Leichen zeigten zu der hinteren Wand. Ich sah auf meine Schuhe und bemerkte einen dunklen klebrigen Fleck auf dem ungeputzten Boden. Ich bekam eine Gänsehaut, als ich mir überlegte, wie lange es her sein musste, dass jemand diesen Raum desinfiziert hatte. Nicht, dass diese speziellen Patienten anfällig für irgendwelche Krankheiten oder Infektionen gewesen wären.
    Ich ging zu der Bahre ganz rechts. Ich ersparte es mir, die Laken aufzudecken, um nach den Namensschildern an ihren Zehen zu suchen. Ich entschied mich dafür, die detaillierteren Blätter auf den Abdecklaken zu lesen.
    Die erste Leiche war weiblich, 68 Jahre alt. Die zweite männlich, 23. So ging es weiter, alle Blätter enthielten die eine Information, nach deren Fehlen ich suchte: Namen. Ich sah kein Blatt, das den dicken roten Stempel „nicht identifiziert“ trug, und es schien, als sollte sich mein kleiner Ausflug nicht gelohnt haben.
    Ich rieb mir mit den Händen das Gesicht, strich mir über meine müden Augen und überlegte, was ich als Nächstes tun sollte. Wo war der Leichnam hingekommen? Es war unwahrscheinlich, dass der Gerichtsmediziner nachts ins Krankenhaus kommen würde, um die Autopsie vorzunehmen. Das hatte Zeit bis morgen. Auch wenn man ihn identifiziert hätte, hätten sie die Leiche nicht den Familienangehörigen freigegeben, bevor die Polizei sie untersucht hatte.
    Er muss doch hier irgendwo sein. Aber als ich mich noch einmal umsah, war klar, dass der Leichnam verschwunden war.
    Ich würde wieder hinaufgehen und in die hämischen Gesichter meiner Kollegen blicken müssen. Ich hatte es versäumt, meinem Dämon ins Auge zu sehen, aber das Leben würde auch so weitergehen wie immer. Mit derselben Bestimmtheit, die mich hergebracht hatte, drehte ich mich um und verließ den Kühlraum, ohne mich noch einmal umzudrehen. Gleichgültig, was ich auch täte, irgendjemand würde immer einen schnippischen Kommentar anbringen oder Mitleid mit mir haben.
    Ich hatte schon genug negative Kritik einstecken müssen, um den Lästermäulern etwas entgegenzusetzen, auch ohne dass ich mir noch einmal das anschauen musste, was von John Doe übrig geblieben war.
    Ich drückte schon die Klinke hinunter, als ich noch einmal innehielt. Aus dem Augenwinkel sah ich kurz auf den Leichnam, der auf dem Autopsietisch lag.
    Trotz all meiner gespielten Tapferkeit war ich ziemlich erleichtert, dass ich den Körper des Unbekannten hier nicht mehr gefunden hatte. Hinsehen oder nicht. Das war ein einfaches Spiel, wenn mich sonst niemand dabei beobachten konnte. Aber meine Erleichterung ebbte ab, da mich ein ungutes Gefühl beschlich. Ich war mir sicher, dass John Doe dort auf dem Autopsietisch lag.
    „Wenn du jetzt wegläufst, dann wird dich diese Frage immer beschäftigen“, beschwor mich eine innere Stimme. Für den Bruchteil einer Sekunde sah es so aus, als würde meine Angst die Oberhand gewinnen. Ich würde einfach die Leichenhalle verlassen und die ganze Angelegenheit vergessen.
    Aber die Worte meines Vaters und die Tatsache, dass Dr. Fuller meine Fähigkeiten als nicht besonders gut einschätzte, fielen mir wieder ein. Ich wollte keine Versagerin sein, wie ich es in den Augen meines Vaters gewesen wäre. Ich wollte Dr. Fuller beweisen, dass ich für meinen Beruf geeignet war. Ich ging zu dem Tisch.
    Ich war kein Feigling.
    Bevor ich es mir noch einmal anders überlegen konnte, zog
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