Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Verschworenen

Die Verschworenen

Titel: Die Verschworenen
Autoren: Ursula Poznanski
Vom Netzwerk:
aber nicht ohne uns zweifelsfrei merken zu lassen, wie wenig sie es genießt.
    Dafür loben wir anderen Tycho umso lauter, bis er sich nach allen Seiten hin übertrieben tief verbeugt. »Wartet nur, bis ich genug Material für einen Backofen beisammenhabe.«
    Während wir die warmen, honigsüßen Äpfel verspeisen, spricht niemand ein Wort. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal etwas mit so viel Begeisterung gegessen und dabei das Gefühl von so unerhörtem Luxus verspürt habe.
    Nach dem Frühstück verabschieden Aureljo und Dantorian sich sofort in die Bibliothek, um dort bei besserem Licht und mit Quirins Hilfe weiter an ihrem Plan zu arbeiten. Sie haben einen kleinen Raum zugeteilt bekommen, dessen Fenster so hoch liegen, dass niemand die beiden von draußen sehen kann. Ich habe sie kürzlich besucht, um Dantorians Skizzen und Aureljos Datensammlung in Augenschein zu nehmen – beides war viel weiter fortgeschritten, als mir lieb war.
    Tycho dagegen hat sich ein eigenes Trainingsprogramm auferlegt: Orientierung in der Dunkelheit. Jeden Tag erkundet er die Gänge und Keller der unterirdischen Stadt ein Stück mehr. »Ich zeichne eine Karte in meinem Kopf«, hat er letztens erklärt. »Abenteuer pur. Und keine Sorge, ich finde zurück.«
    Bis jetzt war das tatsächlich jedes Mal der Fall, Tycho muss über einen außergewöhnlich guten Orientierungssinn verfügen.
    Manchmal bringt er von seinen Ausflügen Souvenirs mit – ein Stück rostiges Blech, die kleinen Knochen eines Tiers, eine Porzellanscherbe. Er verwahrt seine Funde wie Schätze und genießt jede Minute, die er unter der Stadt verbringt.
    Ich wünschte, ich hätte seine Energie. Mir macht der Mangel an Licht zu schaffen und es fällt mir schwer, mir eine Aufgabe für den heutigen Tag zu suchen. Aber auf keinen Fall will ich ihn hier mit Tomma verbringen, die sich an die Wand zurückgezogen hat und dort mehr liegt als sitzt, die Stablampe in der Hand.
    Tommas Resignation weckt meine Lebensgeister, auf keinen Fall will ich in diesen Zustand geraten. Ich stehe auf, klopfe mir den Staub von den Kleidern. »Was hältst du davon, wenn wir gemeinsam zum Bibliotheksspeicher gehen? Quirin hat mir erlaubt, die alten Bestände zu sortieren. Richtige Bücher, Tomma. Ich bin sicher, wir finden etwas zum Thema Forstwirtschaft oder Ackerbau.« Meine Munterkeit klingt echt, jahrelange Übung, und bei mir selbst wirkt der Trick. Ich habe plötzlich Lust, auf Schatzsuche zu gehen, in den Bergen von brüchigem, staubigem Papier nach altem Wissen zu suchen.
    »Vielleicht ergibt sich sogar die Gelegenheit, für ein paar Minuten nach oben zu gehen. In den großen Saal. Du brauchst Tageslicht.«
    Mein Vorschlag ist Tomma nicht einmal ein Schulterzucken oder Kopfschütteln wert. Sie dreht einfach das Gesicht zur Wand und lässt die Stablampe erlöschen.
    Meinetwegen. Insgeheim bin ich erleichtert und schäme mich sofort dafür. Wir müssen zusammenhalten. Trotzdem, ich werde sie nicht zu ihrem Glück zu zwingen. Oder bei ihr bleiben, gegen meinen Willen.
    Die Gänge, die mich zur Bibliothek führen, kenne ich nun schon, ich weiß, dass etwa auf halber Strecke eine Mulde kommt, die einen leicht zum Stolpern bringen kann, wenn man unvorbereitet hineintritt. Ich habe die Schritte bis zur ersten Abzweigung mehrfach gezählt; manchmal sind es zweihundertfünf, manchmal zweihundertsieben, aber nie mehr als zweihundertzehn. Meine rechte Hand ersetzt mir die Augen, sie gleitet über alten Stein, glatt und kalt. In der Dunkelheit versuche ich, meine Übungen von früher durchzuführen, wie sie in der Akademie tägliche Routine waren. Gezielt Emotionen in meine Miene legen – Erstaunen, Interesse, Zustimmung. Bewunderung, Verachtung, kühle Ablehnung. Nach ein paar Minuten gebe ich auf, wie schon gestern. Ohne Spiegel kann ich nicht kontrollieren, ob ich überzeugend wirke, und damit ist das Training sinnlos.
    Der Gedanke bedrückt mich nicht nur, weil ich fürchte, dass all die Fertigkeiten, in deren Perfektion ich während meines Studiums so viel Zeit und Mühe investiert habe, verloren gehen. Sondern vor allem wegen Grauko. Ich war zwölf, als er mein Mentor wurde, und er fehlt mir. Ich wüsste gern, ob er mich für tot hält – wahrscheinlich, unser aller Tod wurde öffentlich bekannt gegeben. Allerdings ist es fast unmöglich, Grauko etwas vorzumachen. Seine Fähigkeit, aus dem Verhalten anderer Menschen zu lesen, grenzt ans Unglaubliche. Falls bei der Todesnachricht auch
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher