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Die Verschworenen

Die Verschworenen

Titel: Die Verschworenen
Autoren: Ursula Poznanski
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Beute, wenn der Clan erfolgreich gegen einen Trupp Sentinel gekämpft oder einen Transport überfallen hat. Mir ist völlig klar, dass es noch lange dauern wird, bis man mir eine davon anvertraut, wenn überhaupt.
    Gleich muss die Rechtskurve kommen. Dann geht es geradeaus, etwa fünfhundert Schritte, hat Quirin gesagt. Ich soll aufpassen, dass ich nicht über die erste der sechs Stufen falle und die Abzweigung nach links verpasse.
    Ich schließe kurz die Augen, meine Hände gleiten die kalte, feuchte Wand entlang. Meine Erinnerung spult die Bilder von eben ab, immer und immer wieder. Der kleine Junge und seine große Angst. Sandor, so freundlich und trotzdem so unnachgiebig. Quirin, der dem Kind die Quälerei hätte ersparen können.
    Es ist Tradition, hält den Clan zusammen. Wir alle tragen die gleichen Narben . Auf Sandors Armen sind es feine silberne Linien, die man kaum sehen kann. Musste er auch weinen, damals, als man ihn durch die Hecke gezwungen hat?
    Da. Meine Hände greifen ins Nichts, ich muss mich nach rechts wenden. Hier kommt mir die Dunkelheit noch dichter vor.
    Auch die Kindheit in den Sphären war nicht immer ein Spaß, aber wir hatten es warm. Die Salvatoren an unseren Handgelenken kontrollierten zu jeder Tageszeit unsere Körperfunktionen; Verletzungen wie die Kratzer, die den Kindern des Clans durch die Dornen zugefügt wurden, hätten die Geräte sofort an den nächsten Medpoint gemeldet und in kaum zehn Minuten wären die Wunden desinfiziert und verbunden gewesen. Ich weiß noch genau, welches Prozedere auf jedes aufgeschlagene Knie und jedes Nasenbluten folgte. Ihr seid doch unser wichtigstes Kapital , sagte der Arzt dann gerne, ihr seid die Zukunft .
    Wenn ich mich zurückerinnere, fällt es mir noch immer schwer zu glauben, dass man uns einfach töten wollte. Wegen einer Verschwörung, die es nie gegeben hat.
    Eine Bodenwelle bringt mich zum Stolpern, ich vermeide nur mühsam einen Sturz, nicht aber den leisen Aufschrei, der jetzt durch die finsteren Gänge unter der Stadt hallt.
    Mein Puls jagt, während ich angestrengt ins Dunkel lausche. Sind da Schritte hinter mir? Habe ich jemanden aufgeschreckt … oder etwas?
    Auf meine Frage hin hat Quirin behauptet, die Schlitzer mieden die unterirdischen Korridore, aber in seiner Stimme lag eine Spur zu viel Sorglosigkeit, als dass ich ihm hundertprozentig hätte glauben können.
    Doch um mich herum bleibt es ruhig. Keine Schritte, die sich nähern, nicht einmal das vertraute flinke Huschen der Ratten. Weitergehen.
    Ich versuche mir vorzustellen, was passiert, wenn ich den Weg zurück verfehle und immer weiter laufe, wenn ich mich in den Kanälen, Kellern und Schächten unterhalb der Ruinen verirre. Doch der Gedanke ist so beängstigend, dass ich ihn rasch von mir schiebe. Quirin würde mich irgendwann finden, vielleicht. Ich würde es nicht wagen, nach Hilfe zu rufen, denn es gibt so viele hungrige Geschöpfe in dieser kalten Welt.
    Weiter. Ich bin noch keine fünfhundert Schritte gegangen, das weiß ich, auch wenn ich nicht mitgezählt habe. Obwohl ich mich so langsam vorwärtsbewege, geht mein Atem hektisch und halb erwarte ich, dass mein Salvator vibrieren und mit einem Check der Körperfunktionen beginnen wird. Aber das ist nur die Macht der Gewohnheit; das Gerät ist seit Wochen außer Betrieb. Es ist nicht dafür geschaffen, lange in der Außenwelt getragen zu werden, und außerdem müsste der Akku längst leer sein. Trotzdem habe ich mich noch nicht dazu überwinden können, es abzulegen. Es ist die letzte Verbindung zu meinem alten Leben.
    Über mir, im Freien, müsste die Sonne bereits aufgegangen sein. An dem wolkenverhangenen Himmel des heutigen Morgens ist sie sicherlich nicht mehr als ein heller Schimmer hinter dem Grau, trotzdem wäre ich gerne draußen, um ihre Gegenwart zu spüren. Achtzehn Jahre lang habe ich ohne ihre Wärme auf der Haut gelebt, aber nun, da ich das Gefühl kenne, will ich es nicht mehr missen. Als würde der Himmel mich umarmen.
    Zu wissen, dass die Sonne da ist, ohne sie sehen und fühlen zu können, ist das Schwierigste an meinem neuen Leben unter der Erde. Doch im Moment haben wir keine Alternative. Wir dürfen nicht entdeckt werden. Am besten wäre es, die Welt würde vergessen, dass es uns gibt.
    Mein Fuß stößt gegen einen Widerstand, so plötzlich, dass ich beinahe falle. Die Treppe, da ist sie. Sechs Stufen hinauf und dann müsste bald ein Gang nach links abzweigen.
    Die Steine unter meinen Händen
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