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Die verschollene Karawane

Titel: Die verschollene Karawane
Autoren: Rolf Ackermann
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der spurlos verschwundene Bruder Elias. Wir alle sind mit unseren Nerven am Ende«, stammelte er, während er zielstrebig über den Kiesweg auf eine Tür des Hauptgebäudes zueilte.
    Nach wenigen Minuten befand sich der Commissario im Betsaal des heiligen Franziskus. Ein schlichter Altar mit einer Statue der Jungfrau Maria dominierte den Raum. Über einer Nische in der rechten Bruchsteinmauer stand in großen Buchstaben: »Hic Est Locus Ubi Oravit Seraphicus Francisco«. Der Nebenraum ließ sich nur durch einen schmalen Zugang betreten. Ein vergittertes Fenster war neben der Tür in die Mauer eingelassen. Davor stand eine kleine Holzbank, von der aus die Gläubigen beim Beten durch die Gitter hindurch die Statue des Heiligen betrachten konnten.
    Beim Anblick des toten Mannes, der dort mit dem Rücken gegen die Statue gelehnt lag, spürte der Commissario erneut Übelkeit aufkommen. Der Geruch des Erbrochenen auf dem Hemd der Leiche intensivierte sein Unwohlsein. Mit schnellem Blick erfasste er die Lage. Die bereits vor vielen Stunden eingetretene Leichenstarre ließ eine halbwegs zuverlässige Einschätzung des Todeszeitpunktes nicht mehr zu. Zehn Stunden waren sicherlich bereits vergangen. Der Tote, ein kleiner, untersetzter Mann zwischen 70 und 80 Jahren in ziviler Kleidung, war offensichtlich mit dem Seil, das mehrfach um seinen Hals geschlungen und an der Holzstatue festgezurrt war, stranguliert worden. Sein Hals wies mehrere hässliche Hämatome auf. Im Mund des Opfers steckte ein Papierknäuel.
    Commissario Toscanelli wandte sich an die beiden Pater: »Wieso heißt dieses Kloster eigentlich San Francesco del Deserto?«
    Der Prior brachte kein Wort hervor.
    »Man sagt, der heilige Franziskus habe auf seiner Rückreise aus den Wüsten des Orients hier auf der Insel angelegt«, antwortete stattdessen der junge Mönch, der sich zwischenzeitlich als Pater Giovanni vorgestellt hatte. Er hatte eine eigenartige, fast knabenhafte Stimme. Und er war sehr nervös. Seine Augen flackerten unruhig hin und her. »Der Allmächtige ließ, so weiß es die Legende zu berichten, die Schwalben der Insel zu ihm sprechen und ihm auferlegen, hier ein Haus Gottes zu bauen«, flüsterte er.
    »Und wer ist der Tote?«
    »Es… es ist Bruder, äh… es war Monsieur Charles Bahri. Gott sei seiner armen Seele gnädig«, stotterte nun der Prior. »Er ist erst vorgestern eingetroffen. Ein Gast des Hauses, der hier die Erfahrung des Gebetes und der inneren Einkehr suchte. Er hat uns früher schon gelegentlich besucht. Sie müssen wissen, Commissario, dass wir den Gläubigen, die eine Erfahrung in unserer Religionsgemeinschaft machen wollen und die Nähe zu Gott suchen, hier im Kloster unsere Gastfreundschaft anbieten.«
    Commissario Toscanelli wunderte sich, warum der Prior ihm mehr sagte, als er ihn gefragt hatte. »Warum haben Sie ihn eben Bruder genannt?«
    Dem Prior schien diese Frage peinlich zu sein. Verlegen hüstelte er und schielte zu dem jungen Mönch. »Nun ja, wie soll ich es erklären? Er gehörte früher dem Orden der Franziskaner an. Vor vielen Jahren. Aber er ist noch immer ein gern gesehener Gast.«
    Der Commissario merkte verwundert auf. Aus dem Augenwinkel heraus sah er den verunsicherten Augenaufschlag des Priors. »Und warum hat er den Orden verlassen? Tat er es freiwillig – oder hat er gehen müssen?«
    Der Prior starrte Hilfe suchend zur Statue der Madonna auf dem Altar. Obwohl es in den alten Gemäuern recht kühl war an diesem Morgen, standen Schweißperlen auf seiner Stirn. »Nun ja, das ist nicht so einfach. Das liegt schon alles weit zurück. Ich weiß nicht genau, was damals geschehen ist. Es war eine Entscheidung, die unsere Glaubensbrüder in Rom getroffen haben.«
    Noch nie in seinem Leben hatte Commissario Toscanelli einen Priester oder Mönch befragen oder gar vernehmen müssen. Irgendwie war es ihm unangenehm. Außerdem spürte er, dass der Prior sich schwertat, zu antworten. Er hielt es sogar für möglich, dass der Prior log oder ihm Informationen vorenthielt. Auch die Tatsache, dass der Mord bereits am Tag zuvor geschehen war, die Mönche aber angaben, dass ihr Telefon über Nacht nicht funktioniert hätte, irritierte ihn. Wer weiß, dachte er, was in dieser Nacht alles geschehen war? Ob der Tatort unverändert geblieben war, ließ sich nicht mehr klären. Und sicherlich hatten sich die Mönche längst abgesprochen, was sie bei der Befragung sagen würden. Das würde die Aufklärung des Verbrechens
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