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Die verschollene Karawane

Titel: Die verschollene Karawane
Autoren: Rolf Ackermann
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Mann dann bald treffen. Er ahnte, wo er sich versteckte. Wie hatte er geschrieben? »Tu sais déjà, mon ami, l’homme, qui venait du désert.«

2.
     
    C ommissario Toscanelli war wütend. Er litt unter dem Spott seiner Kollegen, die in der Kajüte des kleinen Motorbootes standen und sich vor Lachen schüttelten. Aber er hatte nicht die Kraft, sich zu wehren. Mit aschfahlem Gesicht hing er über der Reling und übergab sich. Und das schon seit einer halben Stunde. Er fühlte sich so elend, dass er sich wieder einmal schwor, sich versetzen zu lassen. Seit sechs Monaten ging das schon so. Seit er aus seiner Heimatstadt Mailand hierher versetzt worden war, kämpfte er mit dieser elenden Übelkeit, die ihn schon überkam, wenn er auch nur ein Boot betrat. Und das musste er eigentlich jeden Tag. Denn Dienst in Venedig hieß Dienst auf dem Wasser. Selbst in seiner Freizeit kam er an dem ihm längst verhassten Meer und den Booten nicht vorbei. In der Lagunenstadt führten alle Wege übers Wasser: Kanäle, Buchten, selbst das offene Meer gehörte zu seinem Dienstbereich.
    Als Leiter des Kommissariats für Kapitalverbrechen hatte ihm seine Neigung, sich übergeben zu müssen, mittlerweile den wenig schmeichelhaften und in mancherlei Hinsicht zweideutigen Beinamen »der Großkotzige« eingebracht. Ein Spottname, den inzwischen jeder Carabinieri in Venedig kannte – und bedauerlicherweise auch einige Leute der Unterwelt. Es war ihm durchaus bewusst, dass einige seiner Kollegen mit diesem Namen nicht nur seine Seekrankheit meinten. Sie hatten nicht gerade ein Faible für Beamten aus anderen Regionen Italiens. Dabei machte es ihm nichts aus, dass sie ihn nicht mochten, weil er kein Venezianer war. Auch nicht, dass er wegen seiner perfekten Laufbahn und des für seine gerade mal 3 8 Jahre auffällig hohen Dienstranges permanent von Neidern aufgezogen wurde. Er selbst wiederum empfand die Venezianer als sehr arrogant.
    Die neue Politik des Innenministeriums im Kampf gegen die Mafia, gegen Korruption und das organisierte Verbrechen setzte vermehrt Polizisten aus anderen Regionen in den Städten ein, und sie zeigte bereits erste Erfolge. Mafiöse Strukturen bauten in Italien von jeher auf familiären Bindungen auf. Korruption fand dort einen optimalen Nährboden, wo jeder jeden kannte und man sich zudem noch familiär verpflichtet fühlte, sich gegenseitig Gefallen zu erweisen. Dieses System zu unterhöhlen, war Ziel des neuen Innenministers. Und deshalb war er, Franco Toscanelli, von Mailand nach Venedig versetzt worden.
    Seiner Laufbahn, dessen war er sich sicher, würde das zum Vorteil gereichen. Seinem körperlichen Wohlbefinden war diese Versetzung allerdings extrem abträglich. Er übergab sich fast jeden Tag mindestens ein Mal. Essen war längst ein Reizthema für ihn geworden. Seit seiner Ankunft hatte er bereits vier Kilo abgenommen. Seine Frau hatte ihn, sehr zu seinem Verdruss, erst gestern wieder schnippisch gefragt, welches Fischfutter sie zum Essen einkaufen solle. Was sie heute zum Frühstück aufgetischt hatte, verteilte er soeben wieder in der Lagune.
    Das Polizeiboot sprang wie ein flacher, von Hand geworfener Kieselstein über die Wellen. Das Blaulicht hob sich bizarr gegen den wolkenverhangenen Morgenhimmel ab. Es war ein ruhiger Frühdienst gewesen bis zu diesem Anruf, der ihn zu einer Fahrt hinaus in die Lagune zwang, wo der Wellengang erfahrungsgemäß noch viel schlimmer als in den Kanälen der Stadt war.
     
    Ein Gewitter zog vom Meer her auf. Windböen verursachten weiße Gischtkämme. Ein Blick zu dem aufziehenden Unwetter ließ ihn Schlimmes ahnen.
    »Ich werde elendig krepieren, mir die Seele aus dem Leib kotzen und im Gesicht bald so grün sein wie die Galle, die ich speie«, keuchte er gegen den Fahrtwind.
    Sein Funkgerät blinkte auf. Er wischte sich mit einem Taschentuch den Mund ab und stöhnte: »Pronto… Commissario Toscanelli…! Dove? Non, non, das muss ein Irrtum sein! Wir sind doch schon auf dem Wege nach Burano. Was? Nach Murano? Nein, ich sagte doch, wir sind auf dem Weg nach Burano – mit B –, zu der Leiche im Kloster! Wie bitte? Murano, sagen Sie? Ach, das ist doch Unsinn, bestimmt eine phonetische Verwechslung. Die meinen Burano. Ja, ein Mönch in Burano! Äh, wie meinen Sie das? Ein toter Mönch in Murano? Noch ein toter Mönch?«
    Commissario Toscanelli war verwirrt. Erst hatte sie der Abt eines Klosters informiert, dass dort ein Mann umgebracht worden war. Und angeblich gab es
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