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Die verlorene Kolonie

Die verlorene Kolonie

Titel: Die verlorene Kolonie
Autoren: Anette Strohmeyer
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Selma.
    Unsere Haushälterin hielt sich das iD dicht vor die Augen. Dann schüttelte sie den Kopf. „Nein, Herzchen, ich habe keine Ahnung, wo das ist oder wer die Frau sein könnte. Es tut mir wirklich leid, aber mein Gedächtnis lässt mich im Stich.“ Sie blinzelte traurig und fasste sich an die Stirn. „Das tut es in letzter Zeit häufiger. Muss das Alter sein.“ Sie lächelte verzagt. „Mir fallen immer häufiger Dinge nicht mehr ein. Tja, so ist das wohl.“ Sie gab mir das iD zurück. Ihr Lächeln war jetzt warm und herzlich, so wie ich es kannte, und ihre Omabäckchen leuchteten wie rote Äpfel.
    Ich lächelte zurück und war mir in diesem Moment sicher, dass ich sie zu Unrecht verdächtigt hatte. Sie konnte sich tatsächlich nicht erinnern, was bei ihrem Alter ja auch nicht verwunderlich war. Selma war einfach nur die nette alte Dame, die sich rührend um uns sorgte, weiter nichts.
    „Denk an deinen Kuchen!“, gab ich ihr augenzwinkernd den Hinweis.
    Eine Hand flog vor ihren Mund uns die rief: „Oh mein Gott, ja!“ Dann drehte sie sich um und stürzte in die Küche.
    Grinsend begab ich mich nach oben, wo ich meine Sachen für die Expedition packte. In eine alte, lederne Umhängetasche, die ich von meinem Vater bekommen hatte, steckte ich die Dokumente und die Karten. Danach ging ich in die Garage und reparierte mein Fahrrad, bis Selma mich zum Abendessen rief.
    „Wo ist Dad? Isst er nicht mit?“, fragte ich, während mir Selma Erbsen und Kartoffelbrei auf den Teller füllte.
    „Nein, er ist noch immer unterwegs. Ich werde ihm das Essen warmstellen“, sagte sie und tat noch ein Tofusteak dazu.
    Schweigend aßen wir anschließend das fleischlose Mahl.

- 8 -

    Aus irgendeinem Grund schlief ich in der Nacht schlecht und wachte ständig mit Bildern von Mr. Dudley und der blonden Frau im Kopf auf. Und als der Wecker um viertel nach vier klingelte, fühlte ich mich wie unter die Hufe eines Rodeobullen geraten.
    Leise schlich ich auf den Flur und lauschte an Dads Schlafzimmer. Kein Laut war zu hören. Behutsam öffnete ich die Tür. Das Bett war leer. Eigenartig. War Dad über Nacht nicht nach Hause gekommen? Vielleicht saß er schon im Arbeitszimmer und schrieb. Das tat er öfters.
    Ich ging runter und schaute nach. Doch auch hier kein Dad weit und breit. Das war sehr ungewöhnlich, denn mein Vater hatte schon seit Jahren nicht mehr in einem anderen Bett, außer seinem eigenen übernachtet. Grübelnd ging ich in die stille Küche und aß eine Schüssel mit Müsli. Dann kochte ich mir eine Thermoskanne Kaffee und machte ein paar Sandwiches für die Fahrt. Draußen wurde das undurchdringliche Schwarz der Nacht um wenige Nuancen heller. Ein Auto fuhr vorbei und ich hörte einen Hund bellen. Ich erhob mich.
    Müde zog ich mich oben im meinem Zimmer an und trug mein Gepäck nach unten. Ich schlüpfte in meine robusten Wanderstiefel, öffnete die Tür, streckte ich mich und atmete tief die frische Luft ein. Atmosphäre I war im Wetterbericht angekündigt worden und tatsächlich sah es nach einem wolkenlosen Morgen aus. Allmählich begannen die Vögel zu zwitschern, die rund ums Haus in den noch kahlen Ästen der Bäume saßen.
    Das wird ein netter Ausflug werden , dachte ich.
    Mehr aber auch nicht, denn inzwischen bezweifelte ich immer stärker die Echtheit der Dokumente. Warum, wusste ich auch nicht, es war nur so ein Gefühl. Wenn dort am Cale River tatsächlich so etwas wie eine frühe Siedlung gewesen war, dann hätten andere Geschichtsforscher vor uns es schon längst entdeckt. Die Historie der Besiedlung des amerikanischen Kontinents war ein gründlich abgegrastes Feld. Warum sollten ausgerechnet wir noch etwas finden?
    Was soll’s , dachte ich. Ein wenig Abenteuer konnte nicht schaden. Ich ging zur Garage und öffnete sie, im selben Augenblick rollte Bens Van auf unsere Auffahrt. Zum Glück sah er davon ab, fröhlich zu hupen, was er sonst immer tat, und so konnten unsere Nachbarn friedlich weiterschlafen.
    Ich grüßte mit erhobener Hand und schleppte das Werkzeug zum Van. Ben und Addy stiegen aus und umarmten mich zur Begrüßung. Dabei streifte meine Nase Addys offene Haare. Sie rochen frisch gewaschen und erinnerten mich an einen warmen Sommerabend.
    Keine zehn Minuten später hatten wir alles verstaut und fuhren los. Ich sah Selma mit ihrem Elektro-Caddy am Straßenrand halten und winkte ihr zu. Sie war früher dran als üblich.
    „Viel Spaß!“, rief sie uns zu und winkte zurück.
    Wir bogen
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