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Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition)

Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition)
Autoren: Rebecca Martin
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starrte ihn an. »Gut«, sagte er schließlich und ließ sich zu Boden sinken.
    »Hast du dich verletzt?«, fragte Bernd nach einer Weile.
    Wolfgang schüttelte den Kopf.
    »Ich mich auch nicht«, murmelte Bernd.
    Wie lange es wohl dauern würde, bis man sie suchte? Bernd hoffte sehr, dass es schnell ging. Er betastete wieder die Gegenstände in der Tasche. Von oben war gar nichts mehr zu hören. Inzwischen hatten sich seine Augen an das Dämmerlicht gewöhnt. Er erkannte, dass die Wände aus Brettern bestanden, der Boden offenbar aus gestampf ter Erde.
    Während er die wieder allgegenwärtige Stille zu ignorieren versuchte, streifte er mit der Spitze seiner rechten Sandale über den Boden. Etwas ließ ihn gleich darauf innehalten, ein größerer Gegenstand, der sich nicht nach Erde anfühlte. Ein Stein vielleicht? Bernd bewegte den Fuß nochmals hin und her. Etwas Halbrundes schälte sich aus dem Boden hervor, heller als der dunklere Erdgrund.
    Neugierig bückte er sich, half nun mit beiden Händen nach, um den Gegenstand aus der Erde zu bringen, zupfte und zerrte daran und erstarrte, als er ihn endlich in der Hand hielt.
    Speichel tropfte aus seinem vor Entsetzen geöffneten Mund. Er plumpste rückwärts auf seinen Po und blieb dort sitzen, den Gegenstand immer noch fest umklammert, als sei es ihm unmöglich, ihn loszulassen: Zwei noch halb mit Erde gefüllte Augenhöhlen starrten ihn an. Ein fleischloses Gebiss bleckte die Zähne unter dem Loch, an dessen Stelle einst eine Nase gesessen hatte.
    Es war Wolfgang, der schrie.

Erster Teil
    F amilienbande
    Juli 1997

E rstes Kapitel
    Australien, Swan Valley
    »Darf ich hereinkommen?« Claire schob den weißhaarigen Schopf durch den Türspalt und lächelte ihren Sohn an. John, der sie in diesem Moment wieder einmal schmerzhaft an seinen verstorbenen Vater erinnerte, schaute auf den Klang ihrer Stimme hin sofort auf.
    »Klar, Mum.«
    Er erhob sich und machte eine Handbewegung, die wohl einladend wirken sollte, aber eher lustlos und müde daherkam. Claire trat ein. Unwillkürlich fiel ihr Blick auf das staubbedeckte Modellflugzeug auf Johns Schreibtisch. Sie überlegte, wann er das letzte Mal daran gebastelt hatte.
    Fünf Jahre war das jetzt her. John hatte seine Werkstatt fünf Jahre lang nicht mehr betreten, nicht mehr seit Ann …
    Claire unterdrückte einen Seufzer. Mit einer unschlüssigen Bewegung wischte John sich die Hände an seinen speckigen Arbeitsjeans ab. Er war heute lange in den Weinbergen unterwegs gewesen, hatte Pflöcke repariert und mit dem Verwalter gesprochen, wie sie wusste. Später – Claire hatte gerade im guest house einigen Besuchern Tipps für die nächsten Tage gegeben – hatte sie ihn im Hof gesehen, wie er eine Lieferung alter französischer Cognacfässer prüfte. Im Swan Valley war der Juli der kälteste Monat des Jahres, doch heute war die Tem peratur schon am Vormittag auf 20 °C geklettert. Ein jun ges Pärchen hatte sich für eine Bootstour auf dem Swan River entschieden.
    Claire räusperte sich.
    »Judy hat mir wieder mit den Zimmern geholfen. Deine Tochter macht ihre Sache wirklich gut«, bemerkte sie dann, um wenigstens irgendetwas zu sagen. Ihre zwölfjährige Enkelin verdiente sich seit einigen Monaten auf diese Weise etwas zum Taschengeld hinzu.
    Sie hatte das hellbraune Haar ihrer Mutter, aber die blauen Augen ihrer Großmutter. Kurz musste sie an Judys schmale, fuchtelnde Hand denken, mit der diese sie davon hatte abhalten wollen, sich mit ihren fünfundachtzig Jahren zu bücken.
    »Hm«, entgegnete John.
    Claire schaute wieder das Flugzeug an. Nein, die Staub schicht darauf war noch deutlich zu sehen. Sie fühlte quä lendes Bedauern in sich. Früher hatte John lange Abende über seinen Modellen verbracht. Nach dem Tod seiner Frau hatte er damit aufgehört.
    Fünf Jahre war der Flugzeugabsturz jetzt her, dem Ann und Johns Vater, Claires Ehemann, zum Opfer gefallen waren.
    Unbehaglich bemerkte sie, dass John und sie schon wieder stumm voreinanderstanden. Es war ihr Mann gewesen, der Ann überredet hatte, den Flug anzutreten. Vielleicht hatte sich Claire deswegen immer irgendwie mitschuldig an ihrem Tod gefühlt. Sie wusste, dass das nicht richtig war, aber sie konnte einfach nichts dagegen machen.
    »Judy ist schon im Bett«, sagte John jetzt mit rauer Stimme.
    Claires Hand fuhr in ihren Nacken, wo sie in einer schnellen Bewegung wie gewohnt ihren Dutt betastete.
    »Glaubst du, ich will eigentlich zu Judy, wenn ich an deine
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