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Die Verlockung des Glücks (German Edition)

Die Verlockung des Glücks (German Edition)

Titel: Die Verlockung des Glücks (German Edition)
Autoren: Hannah Kaiser
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Hause verstaut, als ich schon unter der Dusche stehe und mir den Schweiß abwasche. Auch wenn ich weiß, dass man hinterher noch schlimmer schwitzt als vorher, kann ich der Erfrischung eines Gusses mit kaltem Wasser trotzdem nicht widerstehen.
    Mit frischen Sachen auf der Haut fühle ich mich anschließend schon viel besser und meine Gesichtsfarbe hat auch wieder eine für mich normale Tönung angenommen; blass mit ein paar Sommersprossen, was deutlich besser ist als tiefrot.
     
    Ich fahre meinen Laptop hoch und versuche ein Weilchen zu arbeiten, aber nach einer halben Stunde, in der ich mich in erster Linie damit beschäftigt habe, sinnlos auf den Bildschirm zu stieren, beschließe ich es für heute gut sein zu lassen und Feierabend zumachen. Mir ist es heute einfach viel zu warm, selbst in meinem eigentlich angenehm kühlen Häuschen.
     
    Ich habe mich gerade aufs Sofa gelegt und den Fernseher eingeschaltet, als das Telefon klingelt und mein Bruder mich anruft.
    „Hallo Lukas!“
    „Sophie, liebstes Schwesterherz …“
    Ich lache. Wenn er mich so anredet, dann hat er entweder Mist gebaut oder will irgendetwas von mir.
    „Soll ich dich vor wilden Tieren retten, hast du heimlich mein Bankkonto geplündert oder nur keine Milch mehr im Haus?“
    Mein Bruder zögert am anderen Ende der Leitung einen langen Moment, als müsse er ernsthaft darüber nachdenken. Ich seufze in gespielter Verzweiflung und er beginnt schließlich leise zu lachen.
    „Ausnahmsweise nichts von alledem. Aber ich dachte, du möchtest mich heute Abend vielleicht in diesen neuen Klub in der Innenstadt begleiten …“
    Ich seufze erneut, diesmal in echter Verzweiflung.
    „Lukas, du kennst mich jetzt schon dein ganzes Leben. Du solltest doch eigentlich wissen, dass ich das nie möchte!“
    Ich mache mich innerlich auf den nun folgenden Monolog meines Bruders gefasst, der mir an dieser Stelle solcher Gespräche gewöhnlich Vorträge darüber hält, dass ich noch keine dreißig Jahre alt bin und mich schon verhalte, wie eine verrunzelte, frustrierte Eremitin und dass es im Leben mehr Dinge als Arbeit und das Bedürfnis nach ausreichend Schlaf gibt. Nach einem gequälten Seufzen fügt er dann meistens noch hinzu, dass ich so niemals einen Kerl kennenlernen werde.
    Ich antworte ihm an dieser Stelle dann im Normalfall, dass ich zumindest fast schon dreißig bin, genügend Schlaf schön hält und ich in meinem Leben genug Kerle kennengelernt habe. Dass ich auch mehr als genug bittere Erfahrungen mit selbigen gemacht habe, um meinen Glauben an die Menschheit im Allgemeinen und Männer im Besonderen verloren zu haben, brauche ich gar nicht zu erwähnen. Mein Bruder weiß über meine traurige Vergangenheit bestens Bescheid. Leider hindert ihn dies nicht daran, es trotzdem immer wieder zu versuchen, mich davon zu überzeugen, irgendwelche Kerle kennenzulernen.
     
    Aber heute Abend sagt er, wider meinen Erwartungen, nichts dergleichen. Ich kann hören, wie er einmal tief einatmet.
    „Komm einfach mit, ich brauche ein bisschen geliebte Gesellschaft!“ Er klingt irgendwie traurig.
     
    Das ist unfair!
     
    Er weiß zu genau, dass sein trauriger Unterton die große Schwester in mir weckt und ich mich seiner Bitte nicht mehr widerse tzten kann. Wenn er traurig ist oder auch nur traurig klingt , dann erwachen in mir alle Beschützerinstinkte und alle Selbsterhaltungstriebe schalten sich automatisch auf Stand-by.
     
    Unser Vater hat unsere Mutter kurz nach Lukas Geburt für eine Neunzehnjährige sitzen gelassen. Unsere Mutter hat sich nie wirklich davon erholt. Sie war krank, solange ich zurückdenken kann. Sie hatte immer Depressionen und hat während unserer Kindheit die meiste Zeit weinend in ihrem Bett verbracht.Vor drei Jahren starb sie dann an Krebs. Ich glaube aber manchmal, dass Trauer und Enttäuschung sie genauso von innen zerfressen haben, wie der Tumor, der sie schließlich umgebracht hat. Unser Vater hat zwar für unseren Unterhalt gezahlt und uns zum Geburtstag eine Karte geschickt, aber wirklich für uns interessiert hat er sich nie.
    Während unserer Kindheit habe immer ich die Rolle der Mutter für Lukas übernommen, da unsere eigene Mutter ja nie wirklich verfügbar gewesen ist. Wir waren füreinander irgendwie immer alles an Familie, was wir hatten. Ich habe so viele Nächte vor seinem Bett geschlafen, weil er vor lauter Albträumen nicht schlafen konnte, dass ich irgendwann aufgehört habe, sie zu zählen. Und wenn er mich in diesem
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