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Die Verlassenen

Die Verlassenen

Titel: Die Verlassenen
Autoren: Amanda Stevens
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Halluzinationen stetig schlimmer geworden, bis eine Stimme ihm eines Tages befohlen hatte, sich an der Tür seines Kleiderschrankes zu erhängen.
    Jahrelang hatte Hayden keinen Trost finden können. Während seiner Zeit auf der Highschool und auf dem College hatte er sich gequält, nicht so sehr mit Schuldgefühlen als vielmehr mit den vielen Fragen, die ihm niemand beantworten konnte – weder seine Eltern noch sein Psychologe, ja nicht einmal sein Priester. Schließlich hatten ihn die kalten Stellen in Jacobs Zimmer und die Spannungsschwankungen in der Stromversorgung veranlasst, bei unkonventionellen Quellen nach Antworten zu suchen. Und jetzt, fast zehn Jahre später, suchte er immer noch. Aber zu welchem Zweck? Hayden hatte keine Ahnung.
    Draußen auf der Straße hörte er einen Wagen kommen. Wahrscheinlich irgendwelche Jugendlichen. Oder ein anderer Geisterjäger. Er lauschte und wartete, und sein Herz begann merkwürdig zu pochen. Er konnte spüren, dass in dem Nebel irgendetwas war. Es war wie ... ein Echo. Eine Erinnerung. Irgendeine seltsame Schwingung. Ein eisiger Schauer jagte ihm über den Rücken, und sein Puls begann zu rasen. Die Nacht wurde unerträglich still, als würde sie darauf warten, dass die Toten wiederauferstanden. Und dann, kurze Zeit später, fuhr der Wagen wieder weg, und Hayden widmete sich erneut seiner einsamen Nachtwache.

ILSA
    Als Ree in jener Nacht in ihre winzige Wohnung kam, machte sie sich eine Tasse Kaffee und setzte sich an ihren Schreibtisch, um an ihrer Magisterarbeit weiterzuschreiben – einer Abhandlung über die Persönlichkeitsentwicklung im hohen Alter. Doch ihre Gedanken kreisten immer wieder um die seltsamen Vorkommnisse des Abends. Schließlich gab sie ihrem inneren Drang nach und suchte im Internet nach Informationen: über die Tisdales – eine prominente Charlestoner Familie, deren Stammbaum bis zur Gründung der Stadt zurückreichte –, über den Orden, The Order of the Coffin and the Claw , eine Geheimgesellschaft, die es schon seit Mitte des 18. Jahrhunderts gab, über den Friedhof von Oak Grove, den man seit Anfang des vergangenen Jahrhunderts hatte verfallen lassen, und schließlich über Amelia Gray.
    Ree klickte einen Link an, der auf die Website von Amelias Firma führte. Dort klickte sie sich durch Bilderserien, die verschiedene Friedhöfe vor und nach der Restaurierung zeigten, und dann las sie Amelias Lebenslauf. Ihre Referenzen waren jedenfalls beeindruckend. Ein Bachelor in Anthropologie von der University of South Carolina. Ein Master in Archäologie von der University of North Carolina in Chapel Hill. Zwei Jahre hatte sie in Columbia beim Amt für Denkmalschutz gearbeitet und anschließend ihre eigene Restaurationsfirma gegründet. Und dabei war sie erst siebenundzwanzig Jahre alt. Verglichen mit Amelia kam Ree sich vor wie eine Faulenzerin.
    Sie trug den Laptop zum Sofa, rollte sich zusammen und las Amelias Blog durch. Den wortspielerischen Titel Gräber schaufeln fand sie witzig und auch die veröffentlichten Zeitungsartikel, in denen Amelia Die Königin der Friedhöfe genannt wurde. Der kuriose Spitzname erinnerte Ree wieder an jenen Sonntagnachmittag auf dem Friedhof von Rosehill.
    Spontan schrieb Ree ihr eine E-Mail:
    Mein Name ist Ree Hutchins. Wahrscheinlich erinnerst Du Dich nicht mehr an mich. Wir sind in Trinity zusammen auf die Schule gegangen. Ich würde Dir gern ein paar Fragen über den Charlestoner Friedhof Oak Grove stellen. Wäre es wohl möglich, dass wir uns einmal treffen?
    Zu ihrem Erstaunen dauerte es nur wenige Minuten, bis Amelia antwortete:
    Kannst du morgen um zehn bei mir zu Hause vorbeikommen?
    Ree schrieb sich die Adresse und die Telefonnummer auf und steckte den Zettel in ihre Handtasche, damit sie ihn nicht vergaß. Dann arbeitete sie sich weiter durch die Archive von Gräber schaufeln . Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie sich schon in die Einträge vertieft hatte, als sie plötzlich spürte, dass es eisig kalt geworden war. Die Klimaanlage musste sich eingeschaltet haben. Die Fenster waren außen mit Raureif überzogen, und ein modriger Geruch hing in der Luft, den Ree auf den Schimmel in den Luftschächten zurückführte.
    Als sie aufstand, um das Thermostat höher zu drehen, hörte sie die schwachen Klänge eines Liedes. Zuerst glaubte sie, die wehklagende Melodie dränge durch die papierdünnen Wände in ihre Wohnung. Doch dann stellte sie fest, dass es der gleiche Song war, den sie an diesem Abend schon
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