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Die vergessene Insel

Die vergessene Insel

Titel: Die vergessene Insel
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Turm der NAUTILUS versammelt,
und Trautmans Hände umschlossen das große Steuerrad so fest, als wolle er es zerbrechen. Es war sehr
eng in der kleinen Kammer, die eigentlich nur für den
Steuermann und höchstens noch einen Assistenten gedacht war, aber niemand machte auch nur den Vorschlag, hinunter in das Schiff zu steigen, wo Platz für
hundert oder mehr Menschen gewesen wäre.
Mike spürte eine sonderbare Erregung, die nichts mit
der Furcht vor dem, das sie erwarten mochte, zu tun
hatte. Er kam sich immer mehr wie in einem Traum
gefangen vor. Vor wenigen Stunden noch hatte er
nicht einmal gewußt, daß es dieses Schiff gab, und
nun erwachte die NAUTILUS unter Trautmans Händen wieder zum Leben. Und selbst, wenn sie es nur
tat, um in wenigen Minuten endgültig zerstört zu werden - es war ein erhebendes Gefühl, das mit Worten
kaum zu beschreiben war.
Während der letzten beiden Stunden hatten sie die
NAUTILUS von einem Ende zum anderen durchstreift
und unter Trautmans und Singhs Anleitung Tausende
von Dingen getan, die sie zum größten Teil nicht einmal begriffen. Aber das Wunder, das keiner von ihnen
ernsthaft zu erhoffen gewagt hatte, war geschehen: So
alt und verstaubt, wie das Schiff war, es war mit jedem Hebel, den sie umlegten, jedem Schalter, den sie
betätigten, jedem Ventil, das sie öffneten, ein Stückchen mehr zum Leben erwacht, und jetzt erfüllte das
unheimliche Summen und Stampfen der gewaltigen
Motoren den Rumpf wie das Wispern unsichtbarer
elektrischer Geister. Nach mehr als zwanzig Jahren
war die NAUTILUS wieder aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht, um noch einmal in See zu stechen.
Vielleicht zum letzten Mal.
Das Summen der Motoren wurde ein wenig lauter,
und etwas änderte sich im Takt der Wellen, die gegen
den stählernen Rumpf der NAUTILUS schlugen.
Mikes Herz begann zu hämmern.
Langsam, wie ein großes, eisernes Tier, das aus einem
tiefen
Schlaf erwachte und nur allmählich seine Kräfte wieder zu entdecken begann, setzte sich die NAUTILUS in Bewegung. Trautman betätigte einen Schalter,
und an ihrem Bug flammte ein gewaltiger Scheinwerfer auf, der den Tunnel vor ihnen erhellte. Mike sah,
daß sich die Decke des Stollens vor ihnen senkte, bis
sie in einer Entfernung von zwei- oder dreihundert
Metern beinahe das Wasser berührte. Irgendwo, noch
viel, viel weiter entfernt,
schimmerte ein winziger
Fleck Tageslicht.
Allmählich wurde das Schiff schneller. Gleichzeitig
sank es ein wenig tiefer, so daß die Wellen bald über
dem Rumpf zusammenzuschlagen begannen. Trautman hatte ihnen erklärt, daß sie nicht wirklich tauchen konnten; dazu waren umfangreiche Vorbereitungen nötig und eine Mannschaft, die wußte, was sie tat,
und nicht einfach nur auf Befehl ein paar Hebel umlegte. Aber der freie Spalt zwischen der Tunneldecke
und dem Wasser war gerade hoch genug, den Turm
des Schiffes hindurchzulassen.
Ein dumpfes Grollen drang an Mikes Ohr. Er fuhr erschrocken zusammen, als Steine und Felsbrocken wie
Hagel rings um das Schiff ins Wasser schlugen; einige
trafen die NAUTILUS, und das ganze Schiff begann
wie eine riesige Glocke zu dröhnen. Die Insel war dabei, über ihren Köpfen zusammenzubrechen. Mike betete still, daß die Zeit reichte, um das Ende des Tunnels zu erreichen.
Die NAUTILUS wurde wieder schneller. Für einige
Augenblicke pflügte sie wie ein Torpedo durch den
Tunnel, und der helle Fleck an seinem Ende wuchs zu
einem Halbkreis heran. Dann nahm Trautman das
Tempo wieder zurück. Und einen Augenblick später
sahen sie den Felsen.
Mike hätte vor Enttäuschung beinahe aufgestöhnt.
Der Tunnel führte direkt auf das freie Meer hinaus,
ganz wie Trautman gesagt hatte. Der Himmel draußen
war nicht mehr blau. Unmittelbar über der Insel spiegelte sich roter Feuerschein am Firmament, und ein
feiner Aschenregen ging auf das Wasser nieder. Mike
konnte
einen Teil einer mächtigen,
schwarzgrauen
Rauchwolke erkennen, die fast senkrecht in den Himmel stieg. Der Kratersee und die alte Stadt mußten bereits vernichtet worden sein. Der Vulkan hatte wieder
angefangen, Feuer zu speien. Wie durch ein Wunder
war der Tunnel bisher noch nicht verschüttet worden,
und wie durch eine besonders grausame Laune des
Schicksals versperrte der Felsen die Ausfahrt nicht
völlig, sondern ragte wie ein steinerner Speer schräg
von unten aus dem Wasser, gerade weit genug, um ein
Schiff, das nur etwas kleiner gewesen wäre, hindurchzulassen. Für den stählernen Giganten aber stellte er
eine unüberwindliche
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