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Die Verfluchten

Die Verfluchten

Titel: Die Verfluchten
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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ein Händler auf einem arabischen
Basar, der seine Ware anpreist. »Ist es dir hier etwa nicht friedlich
genug, Hexenmeister? Sieh dich um. Weit und breit ist niemand, der
uns nach dem Leben trachtet.« Sein Blick blieb an den reglosen Gestalten hängen, die im blutbefleckten Sand der Düne lagen, und er
fügte leiser und fast verlegen hinzu: »Jedenfalls niemand mehr.«
Andrej starrte ihn nur finster an und resignierte dann endgültig.
Abu Dun hatte offensichtlich wieder einmal beschlossen, das zu groß
geratene Kind zu spielen. In letzter Zeit tat er das öfters, vielleicht
häufiger, als gut war. Andrej fragte sich, ob er vielleicht Grund hatte,
sich ernsthafte Sorgen um seinen Freund zu machen, schob den Gedanken aber dann von sich. Wahrscheinlich war es nur Abu Duns
Art, mit dem fertig zu werden, was das Schicksal ihm angetan hatte.
Wenn das der ganze Preis war, dachte er, dann war er gering. Andrej
hatte Männer getroffen, starke Männer, die dem Tod ins Gesicht gelacht und vor nichts und niemandem Angst gehabt hatten, die an weniger zerbrochen waren als dem, was Abu Dun widerfahren war.
Er schlug sich noch einmal mit den flachen Händen auf den sandbraunen Kaftan, den er über seiner normalen Kleidung trug, warf
Abu Dun einen bösen Blick zu, als sich auf dessen Lippen angesichts
der aufwirbelnden Staubwolke schon wieder ein breites und diesmal
unübersehbar schadenfrohes Grinsen bemerkbar machte, und drehte
sich einmal im Kreis. Jetzt aber sehr langsam und ohne das Schwert
in der ausgestreckten Hand vor sich zu halten, um Abu Dun keinen
Anlass zu einer noch kindischeren Bemerkung zu geben. Allzu viel
gab es allerdings nicht zu sehen. So weit sein Auge reichte, und in
jeder erdenklichen Richtung, erstreckte sich das fleckige Gelb eines
erstarrten, trockenen Ozeans. Im Osten, bereits erstaunlich weit entfernt, konnte er die winzigen Gestalten der flüchtenden Räuber auf
ihren Pferden erkennen, davon abgesehen jedoch war das Land von
einer erschreckenden Leere erfüllt. Es war nicht die erste Wüste, die
Andrej sah, nicht einmal die erste, die er durchquerte, aber er hatte
noch nie so etwas gesehen. Während seiner Zeit als Seefahrer hatte
er geglaubt, das Meer zu hassen, seine endlosen, monotonen Wellen,
die aus einem nicht vorhandenen Horizont kamen und auf der anderen Seite der Welt wieder darin verschwanden, und vor allem das
ununterbrochene Schaukeln und Zittern der hölzernen Planken unter
seinen Füßen. Jetzt wünschte er sich dieses Gefühl beinahe zurück.
Es hätte ihm zumindest die Illusion von Leben vermittelt. Dieses
Land hier war… tot. Nicht zum ersten Mal fragte sich Andrej, was
sie hier eigentlich taten.
Er drehte sich wieder zu Abu Dun um. »Wohin gehen wir?«
»Dorthin«, antwortete Abu Dun, ohne einen Finger zu rühren oder
auch nur in eine bestimmte Richtung zu sehen.
»Du gibst also endlich zu, dass wir uns verirrt haben. Du kennst den
richtigen Weg nicht.«
Abu Dun sah ihn vorwurfsvoll an. »Ich? Aber woher sollte ich den
richtigen Weg kennen, oh Sahib. Ich bin nur ein kleiner, dummer
Mohr, der…«
»Du bist nicht klein«, unterbrach ihn Andrej. Er machte eine verärgerte Geste, von der er wenigstens hoffte, dass sie Abu Dun davon
abhielt, schon wieder mit einer Albernheit zu antworten. »Wir haben
nichts mehr zu essen und fast kein Wasser mehr, muss ich dich daran
erinnern?«
»Und keine Reittiere«, fügte Abu Dun in einem Ton hinzu, als fände er diesen Umstand höchst amüsant. »Unsere Pferde waren das
Erste, was diese feigen Hunde aus dem Hinterhalt erschossen haben.«
Das stimmte nicht ganz, wie sich Andrej erinnerte. Alles war so
unglaublich schnell gegangen, dass es selbst seinen übermenschlich
scharfen Sinnen schwer gefallen war, die Ereignisse zu verarbeiten
und sich in der richtigen Reihenfolge daran zu erinnern, aber das Allererste, was von gleich drei Pfeilen getroffen worden war, die die
Räuber ebenso heimtückisch wie präzise aus dem Hinterhalt einer
Sanddüne auf sie abgeschossen hatten, war Abu Duns breiter Rücken
gewesen. Nahezu im gleichen Moment hatte auch ihn ein Pfeil dicht
unterhalb des Herzens getroffen. Die Stelle, an der das Geschoss seinen Kaftan, die Lederweste und das Wams darunter durchschlagen
und sich tief in seine Brust gebohrt hatte, schmerzte noch jetzt und
erinnerte ihn daran, dass sein Mitleid den Erschlagenen gegenüber
vielleicht doch fehl am Platze war. Die Männer waren nicht auf Gefangene aus
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