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Die Verfemten

Die Verfemten

Titel: Die Verfemten
Autoren: Thomas Knip
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eine Gefahr lauern, so hatte Talon auf diesem Untergrund wenigstens einen besseren Stand.
    Er rutschte die letzten Meter förmlich nach unten. Das Echo des kleinen Steinschlags, der seinen Bewegungen folgte, hallte hohl von den Talwänden wider. Weitere Knochen säumten den Boden. Manche von ihnen wirkten, als wuchsen sie direkt aus dem steinernen Boden empor. Talon erkannte ein angewinkeltes Knie, das sich einem Torbogen gleich aus dem Schiefer empor schob, und nur knapp dahinter die Überreste einer menschlichen Hand, die sich nach oben reckte und mit dem Stein verschmolzen zu sein schien.
    Talon nahm den Ast und schlug gegen den Unterschenkelknochen des halb vergrabenen Skeletts. Er zerbröselte zu Staub. Wie grauer Sand, der sich in seiner Farbe kaum von dem Schiefer unterschied, legte er sich auf den Boden.
    Der Atem des hochgewachsenen Mannes beschleunigte sich. Unruhig wanderten seine Augen hin und her und suchten die kaum zu durchdringende Düsternis vor ihm ab. Die Schatten an den Felswänden schienen sich zu bewegen. Talon spürte, wie sich seine Nackenhaare aufrichteten. Sein Instinkt sagte ihm, dass er nicht allein war. Doch so gründlich er sich auch umsah; es war ihm unmöglich, etwas in dem Dämmerlicht auszumachen.
    Obwohl ihn der Durst plagte, beschloss er, dem Bach erst eine Weile zu folgen und die Umgebung genau zu beobachten. Unter seinen Tritten brachen einige der dünneren Schieferplatten mit einem leisen Knirschen. Das Geräusch war neben dem unablässigen Gurgeln des Wassers das einzige, was er nun hörte.
    Die sonnenabgewandte Steinwand zu seiner Rechten war in einen dunklen Schatten gehüllt. Silhouettengleich legte sich das Muster der stark verästelten Bäume vor den kaum zu erkennenden Himmel. Mehrmals wechselte Talon die Uferseite und durchschritt das flache Wasser des Bachs. Doch noch immer ließ sich in den Felswänden oder am Boden keine Bewegung ausmachen, die seinem Instinkt Recht gegeben hätte.
    So beschloss er, an einer weit auslaufenden Biegung des Bachs Halt zu machen. Er kniete sich nieder und tauchte die flache Hand in das Wasser, das in dieser lichtlosen Umgebung nicht minder schwarz wirkte als die Felsen. Es legte sich mit seiner Kühle beruhigend auf die erhitzte Haut.
    Talon formte die rechte Hand zu einer Schale und schöpfte etwas Wasser. Doch noch bevor er sie an den Mund ansetzen konnte, zuckte sein Kopf zurück, und er ließ die Flüssigkeit zwischen den Fingern hindurchfließen. Das Wasser hatte einen eigenartigen Geruch. Er war es gewohnt, welches zu trinken, das mit Erde oder Sand versetzt war. Ohne einen Brunnen oder eine Quelle war klares Wasser in dieser abgelegenen Gegend ein Luxus, auf den er nicht hoffen durfte.
    Er roch an seiner Hand. Ein schwerer, süßlicher Geruch hatte sich auf der Haut festgesetzt. Ein Geruch nach Moder und Verwesung …
    Ein Schlag traf ihn am Kopf. Farbige Kreise tanzten vor Talons Augen. Benommen kippte er zur Seite und konnte sich nur mühsam mit der linken Hand auf dem rutschigen Untergrund abstützen. Sein Atem ging schwer. Er hatte Mühe, das Bewusstsein nicht zu verlieren. Ein kaum zu hörendes Sirren pfiff durch die Luft. Direkt vor ihm spritzte das Wasser plötzlich empor. Ein Stein, kaum größer als eine Walnuss, durchstieß die Oberfläche ein zweites Mal, um dann im Bach zu versinken.
    Talon ließ sich zu Boden fallen. Sein Kopf ruckte nach rechts. Ein weiterer Stein schoss über ihn hinweg. Er kam aus dem schattenverhangenen Felsvorsprung, der den Bach in einen Bogen zwang. Jemand schoss mit einer Schleuder auf ihn, jagte ihm der Gedanke durch den Kopf.
    Unwillkürlich tastete er mit den Fingern nach seiner Schläfe und fühlte das Blut, das aus der aufgerissenen Wunde floss. Er fluchte mit zusammengebissenen Zähnen. Nur langsam löste sich der Schwindel auf. Es fiel ihm schwer, seine Bewegungen zu koordinieren und sich auf die Umgebung zu konzentrieren.
    Mehrere Schatten lösten sich mit einem Mal aus der Felswand. Schwerfällig bewegten sie sich vorwärts. Sie schienen Mühe zu haben, beim Laufen das Gleichgewicht zu behalten. Affen? , versuchte Talon benommen, seinen Gegner zu erkennen. Doch dafür waren die Umrisse nicht massig genug.
    Das Blut rauschte in seinem Kopf. Mühevoll erhob er sich und griff nach der knorrigen, fast mannshohen Wurzel, die er neben sich gelegt hatte. Kurz überlegte er, sich mit dem bronzenen Kurzschwert zu verteidigen. Doch es besaß nicht genügend Reichweite, um damit die Gestalten auf
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