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Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Titel: Die verborgene Sprache der Blumen / Roman
Autoren: Vanessa Diffenbaugh
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glücklichen und verwirrenden Moment lang deutete ich ihre Reaktion als Zeichen dafür, dass sie mich insgeheim gernhatte. Doch als ich sie ansah, stellte ich fest, dass sich ihre helle Haut vor Verlegenheit rötete. Seit meiner Geburt war sie meine Sozialarbeiterin. Wenn man mich zum hoffnungslosen Fall abstempeln würde, bedeutete das, dass sie an mir gescheitert war.
    Wir hielten vor dem Gathering House, einem pfirsichfarbenen verputzten Gebäude mit Flachdach, das inmitten weiterer pfirsichfarbener verputzter Gebäude mit Flachdächern stand.
    »Drei Monate«, verkündete Meredith. »Ich möchte, dass du mir nachsprichst und es auch verstehst. Drei Monate mietfrei. Danach musst du bezahlen oder ausziehen.«
    Ich schwieg. Meredith stieg aus und knallte die Autotür hinter sich zu.
    Mein Karton hinten im Wagen war unterwegs umgefallen, so dass meine Kleider verstreut auf dem Rücksitz lagen. Ich stapelte sie wieder auf die Bücher und folgte Meredith auf die Treppe vor dem Haus hinauf. Sie läutete.
    Es dauerte eine gute Minute, bis sich die Tür öffnete, und als sie es schließlich tat, drängten sich einige Mädchen auf der Schwelle. Ich drückte den Karton fester an meine Brust.
    Ein zu klein geratenes Mädchen mit stämmigen Beinen schob die Fliegengittertür auf und streckte die Hand aus. »Ich bin Eve«, sagte sie.
    Obwohl Meredith mir auf den Fuß trat, griff ich nicht nach der Hand. »Das ist Victoria Jones«, erwiderte Meredith und gab mir einen Schubs. »Sie ist heute achtzehn geworden.«
    Einige murmelten
herzlichen Glückwunsch
. Zwei Mädchen wechselten Blicke.
    »Alexis musste letzte Woche gehen«, verkündete Eve. »Du bekommst ihr Zimmer.« Sie drehte sich um, als wolle sie mich zu dem Raum begleiten. Also folgte ich ihr einen dunklen, mit Teppichboden ausgelegten Flur entlang zu einer offenen Tür, trat ein, machte die Tür hinter mir zu und schloss ab.
    Das Zimmer war grellweiß. Es roch nach frischer Farbe, und als ich die Wände anfasste, waren sie noch klebrig. Der Maler hatte schlampig gearbeitet. Der Teppich, ehemals weiß wie die Wände, aber inzwischen voller Schmutzflecken, wies entlang der Fußbodenleiste Farbkleckse auf. Ich wünschte, der Maler hätte weitergemacht und auch den gesamten Teppich, die schmale Matratze und das Nachtkästchen aus dunklem Holz angestrichen. Das Weiß war sauber und neu, und es gefiel mir, dass es vor mir noch niemandem gehört hatte.
    Meredith stand auf dem Flur und rief nach mir. Sie klopfte wieder und wieder. Ich stellte meinen schweren Karton mitten im Zimmer ab. Dann nahm ich die Kleider heraus, stapelte sie im Wandschrank auf dem Boden und schichtete meine Bücher auf dem Nachtkästchen. Als der Karton leer war, zerriss ich ihn zu Streifen, um die kahle Matratze abzudecken, und legte mich darauf. Durch ein kleines Fenster strömte Licht herein und wärmte mir die nackte Haut an Gesicht, Hals und Händen. Ich stellte fest, dass das Fenster nach Süden zeigte. Gut für Orchideen und Zwiebelpflanzen.
    »Victoria?«, rief Meredith wieder. »Ich muss wissen, was du für Pläne hast. Erzähl es mir einfach, dann lasse ich dich in Ruhe.«
    Ich schloss die Augen und ignorierte das Geräusch ihrer Fingerknöchel auf Holz. Nach einer Weile verstummte die Klopferei.
    Als ich die Augen aufschlug, lag ein Umschlag auf dem Teppich an der Tür. Darin befanden sich ein Zwanzigdollarschein und ein Zettel.
Kauf dir etwas zu essen und such dir einen Job,
stand darauf.
     
    Merediths zwanzig Dollar reichten für sieben Vier-Liter-Kartons Vollmilch. Eine Woche lang kaufte ich jeden Morgen einen im Laden an der Ecke und trank die cremige Flüssigkeit langsam über den Tag verteilt, während ich zwischen städtischen Parks und Schulhöfen umherschlenderte und die hiesige Pflanzenwelt in Augenschein nahm. Da ich noch nie so nah am Meer gewohnt hatte, hatte ich mit einer fremdartigen Landschaft gerechnet. Ich hatte erwartet, dass der dichte Morgennebel, der nur wenige Zentimeter über dem Boden waberte, eine Unzahl von Pflanzen hervorbringen würde, die ich noch nicht kannte. Doch bis auf gewaltige Ansammlungen von Aloe am Ufer, deren lange, rote Blüten in den Himmel aufragten, entdeckte ich erstaunlich wenig Neues. Das Viertel wurde von den gleichen Importpflanzen – Wandelröschen, Bougainvillea, Nachtschattengewächse und Brunnenkresse – geprägt, die ich in Gärten und Gärtnereien überall an der Bucht gesehen hatte. Nur in ihren Dimensionen unterschieden sie sich.
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