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Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Titel: Die verborgene Sprache der Blumen / Roman
Autoren: Vanessa Diffenbaugh
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daran, dass meine letzte Pflegefamilie mich vor die Tür gesetzt hatte. Außerdem hatte ich nur eine Woche im Heim gelebt, bis Meredith kam und mich zu Elizabeth brachte.
    Wie ich fand, hätte es zu Meredith gepasst, mich zu quälen, um ihren Standpunkt zu untermauern. Die Mitarbeiterinnen im Heim waren grausam zu uns gewesen. Jeden Morgen hatte die Köchin ein dickes dunkelhäutiges Mädchen gezwungen, beim Essen das Hemd bis zum Hals hochzuziehen und ihren mächtigen Bauch zu zeigen, damit sie nicht vergaß, sich zu mäßigen. Nach dem Frühstück pickte sich Miss Gayle, die Hausmutter, eine von uns heraus, die sich an den Kopf des langen Tisches stellen und erzählen musste, warum ihre Familie sie abgeschoben hatte. Mich ließ Miss Gayle nur einmal antreten, und da ich als Neugeborenes ausgesetzt worden war, kam ich mit der Aussage:
Meine Mutter wollte kein Baby
davon. Andere Mädchen berichteten von den schrecklichen Dingen, die sie ihren Geschwistern angetan hatten oder dass sie verantwortlich für die Drogensucht ihrer Eltern seien. Fast immer weinten sie dabei.
    Doch wenn Meredith mich ins Heim gesteckt hatte, um mir Angst zu machen, damit ich mich endlich benahm, war ihr Plan nicht aufgegangen, denn trotz des Personals hatte es mir dort gefallen. Es gab regelmäßige Mahlzeiten, ich schlief unter zwei Decken, und niemand heuchelte mir vor, mich zu lieben.
    Ich aß die letzte Kirsche und spuckte Meredith den Kern an den Hinterkopf.
    »Nimm es dir einfach zu Herzen«, wiederholte sie. Wie um mich zu bestechen, hielt sie an und kaufte an einem Drive-in-Imbiss eine dampfende Schale mit Fish and Chips und einen Schokomilchshake. Hastig stopfte ich alles in mich hinein, während ich zusah, wie die staubigen Hügel an der East Bay ins quirlige Durcheinander von San Francisco und schließlich in ebene Küstenlandschaft übergingen. Als wir die Golden Gate Bridge überquerten, war mein Nachthemd mit Pfirsichsaft, Kirschen, Ketchup und Milchshake beschmiert.
    Wir kamen an verdorrten Feldern, einer Gärtnerei und einem verlassenen Parkplatz vorbei und erreichten schließlich einen Weinberg, wo sich die Rebstöcke in ordentlichen Reihen den geschwungenen Hügel hinauf erstreckten. Meredith trat fest auf die Bremse und bog rechts in eine lange, nicht geteerte Auffahrt ein. Sie beschleunigte auf der holperigen Straße, als könne sie es kaum erwarten, mich aus dem Auto zu werfen. Wir sausten an Picknicktischen und sorgfältig gepflegten Reben mit dicken Stämmen vorbei, die sich um lange Drähte rankten. An einer Kurve ging Meredith ein wenig vom Gas, beschleunigte dann wieder und hielt auf einen Hain hoher Bäume in der Mitte des Anwesens zu. Ihr Dienstwagen war in eine Staubwolke gehüllt.
    Nachdem Meredith angehalten und der Staub sich gelegt hatte, sah ich ein weißes Farmhaus. Es hatte zwei Stockwerke, ein Satteldach und eine verglaste Veranda. Spitzenvorhänge verdeckten die Fenster. Rechts davon standen ein niedriger Wohnwagen aus Metall und einige windschiefe Schuppen. Dazwischen lagen Spielsachen, Werkzeuge und Fahrräder herum. Da ich schon einmal in so einem Wohnwagen gelebt hatte, fragte ich mich sofort, ob Elizabeth wohl ein Klappsofa hatte oder ob ich in ihrem Bett würde schlafen müssen. Ich hörte anderen Leuten nicht gern beim Atmen zu.
    Meredith wartete nicht ab, ob ich freiwillig aussteigen würde, sondern öffnete meinen Sicherheitsgurt, packte mich unter den Achseln und zerrte mich zu dem großen Haus, während ich wild um mich trat. Da ich damit rechnete, dass Elizabeth aus dem Wohnwagen kommen würde, kehrte ich der Veranda den Rücken zu und sah sie nicht, als ich ihre knochigen Finger auf meiner Schulter fühlte. Mit einem Aufschrei riss ich mich los, rannte barfuß zum Auto und versteckte mich dahinter.
    »Sie lässt sich nicht gerne anfassen«, hörte ich Meredith, offensichtlich ungehalten, zu Elizabeth sagen. »Das habe ich Ihnen ja schon erklärt. Sie müssen abwarten, bis sie von selbst auf Sie zukommt.« Es ärgerte mich, dass Meredith das wusste. Ich rieb mir die Stelle, wo sie mich berührt hatte, um ihre Fingerabdrücke zu beseitigen, und blieb hinter dem Auto in Deckung.
    »Dann warte ich eben«, erwiderte Elizabeth. »Das habe ich Ihnen versprochen, und ich werde mein Wort auch halten.«
    Meredith begann, ihre übliche Litanei von Gründen herunterzubeten, warum sie nicht bleiben könne, um uns zu helfen, einander besser kennenzulernen: eine kranke Großmutter, ein besorgter Ehemann
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