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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift
Autoren: Anselma Heine
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klapperten Galopp. Wie eine Schauspielerin hob sie die Arme, machte ihr eigenes Fußstrecken, ihr Laufen nach.
    Hortense sah ihrer kleinen Schwägerin mit liebenswürdiger Geduld zu. Sie war in Belfort an einen Offizier verheiratet, Luciles Bruder. Ihre beginnende zweite Mutterschaft hatte ihr ein unwiderstehliches, fast krankhaftes Heimweh gebracht, noch verstärkt durch die Entdeckung eines neuen Liebesverhältnisses ihres Mannes, diesmal in ihrem eigenen Hause, mit Désirées Mademoiselle. Nun war sie hier, zufrieden, einmal wieder bei Vater und Mutter zu sein, in dem alten Garten ihren früheren sauberen Mädchenvorstellungen wieder zu begegnen und der jungen Schwester in das helle, wohlgeordnete Gesicht zu sehn. Ihr Schwiegervater, der sich seit kurzem an der Fabrik Schlotterbach et Fils in Thurwiller mit Geld beteiligt hatte und deshalb hin und wieder hierherreiste, gab sich bei den Baldes Rendezvous mit ihr. Er hatte sein Enkelkind kennenlernen wollen.
    Désirée war inzwischen mitsamt dem Kätzchen von Hortense zu Françoise übergegangen und saß jetzt gravitätisch auf ihrem hohen Stuhl, eine große Birne und ein Taschentuch vor sich, bemüht, der Tante ihre Hantierung abzulernen. Françoise hatte einen Korb frischgepflückter Frühbirnen neben sich auf die Bank gestellt, wählte daraus die reifsten Früchte und rieb sie aufmerksam und sorgfältig mit einem groben Tuche ab. Ihre Bewegungen waren von einer präzisen Anmut, die gut zu ihrem Gesichte paßte, das leicht durchschaubar schien. Dann aber konnte sie plötzlich emporblicken, dunkel und heiß, die Augen voll von einer noch wartenden Leidenschaft. Aber das war nur selten. Sie hatte, als wisse sie um ihre beiden Verräter, die Angewohnheit, die Lider tief zu senken, selbst beim Sprechen. So saßen die Schwestern jetzt schweigend,doch des Zusammenseins froh, beieinander. Lucile trieb währenddessen, den großen Hut auf dem Kopfe, ein Gießkännchen in der Hand, ein spielerisches Wesen zwischen den Bleichstücken, begoß sie mit dünnen, bogigen Kaskaden, wippte mit dem Kleidchen und nestelte an den schützenden Halbhandschuhen. Auch im Garten sah man ihr weißes Kleidchen bald da, bald dort durch die Büsche schimmern, niemals aber sehr entfernt vom Straßengitter. Sie wollte gesehen werden und bestaunt.
    Unglücklicherweise aber ging niemand vorbei als ein Mann mit seinem Hundewagen und jetzt die Postbotin. Sie reichte einen Brief hinüber an »Madame«. Lucile lief damit zu Françoise. Die sah den Poststempel an. Sie wurde rot dabei, dann strich sie ihre Ärmel glatt, die sie zur Arbeit ein wenig aufgeschlagen hatte, legte Früchte und Tuch ordentlich beiseite und ging mit langsamen Schritten ins Haus hinein, in die Küche, wo Frau Balde mit dem sommerfleckigen Salmele zusammen das Abendessen bereitete. Die elegant gewachsene Frau stand im dunkeln Kleide und großer, weißer Schürze am Herd und rührte eine Omelette, das Feuer färbte ihr schmales, bräunliches Gesicht mit Rot und übergoß die glatten, silbrig schimmernden Scheitel mit Reflexen.
    Gelassen reinigte sie am Küchenbrunnen ihre Hände, trocknete sie ab, ließ sich den Brief geben und trat damit ans Fenster.
    »Aus Mülhausen,« sagte sie dabei auf französisch zu ihrer Tochter, »von Pierre Füeßli. Es wird seine Werbung sein. Du weißt, seine Familie ist sehr gut.«
    »Aber Protestanten.« Françoise stand vor ihr, den Blick gesenkt, den Kopf hintenübergeneigt. Ihr Gesicht war ruhig. Die Mutter nahm sie bei der Hand.
    »Er fragt, ob er morgen kommen darf. Wegen des Streiks ist seines Vaters Fabrik geschlossen. So möchte er sich seine Antwort selber holen.«
    Françoise nickte. »Ich achte ihn, er ist ein lieber Mensch.«
    »Und er sieht gut aus.«
    »Und dann ist es auch so nah an Thurwiller.«
    »Wir sollen ihn also kommen lassen? Übereile dich nicht, mein Kind. Es ist für das ganze Leben.«
    Françoise lächelte. »Ich wüßte nicht, was sich ändern könnte. Mein Gefühl für ihn ist ruhig und klar. Aber immerhin –« Etwas Verträumtes kam in ihre Stimme, sie sah in das Funkeln des Gartens hinaus. »Ich kann mir ja noch einige Tage Bedenkzeit ausbitten,« sagte sie langsam.
    Still legte die Mutter ihre beiden Hände auf das weiche, heiße Blondhaar ihres Kindes. »Ja, so soll es sein,« sagte sie sanft, »er soll noch ein wenig warten.« Mit einer Bewegung, deren Präzision die geborene Französin verriet, ließ sie die kleine Schleppe ihres Hauskleides seitwärts gleiten und
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