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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift
Autoren: Anselma Heine
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noch einmal von da.
    Der Bauer war inzwischen unter fortwährendem Schimpfen dem Feldweg ganz nahe gekommen. Hummel blieb stehen, aufzupassen, ob man etwa helfen müsse.
    Da hörte er das blonde Mädchen mit warmer, tonvoller Stimme sagen:»'s isch uns arg leid, Schambedis, arg leid.«
    Aber der Kerl wurde nur wütender.
    »Arg leid – das hilft m'r nix, nundedié noch emol!«
    Hummel faßte seinen Stock. Schon wollte er querfeldein auf die Gruppe zulaufen, da hörte er den Bauer wieder:
    » Sie mein' i jo net, Mamsell Balde, Sie isch jo net e so! Awer do dene noble Mamselle aus Paris, dene kummt's net drauf an, einem so viehmäßig d' Frucht z'verdappe.«
    Jetzt kam ein sonderbar kokettes Kinderlachen aus dem Korn heraus. Das zierliche Persönchen im Strohhut stand da und schaute mit gespannter Aufmerksamkeit hinüber. Plötzlich steckte sie ihr in feinem, braunem Zeugstiefel steckendes Füßchen dem Bauern entgegen und rief in geschwindestem Französisch:
    »Sehen Sie doch, Herr Jean-Baptiste, Sie glauben wirklich, daß man mit solchem Füßchen Schaden anrichtet? Mit solchem Füßchen?!«
    Und sie trillerte noch einmal dieses seltsame, bewußt kindliche Gelächter.
    Der Bauer grinste. Täppisch bückte er sich nach dem kleinen Fuß, der längst wieder verschwunden war, und ließ es dann geschehen, daß die Mädchen wie aufgescheuchte Wildvögel davonflatterten. Hummel amüsierte sich über den Kerl, der mit offenem Maul den fliehenden Geschöpfchen nachglotzte. Dann wurde ihm bewußt, daß er selber es nicht viel anders machte.
    Angeregt ging er weiter. Etwas Prickelndes fühlte er um sich her. Und die beiden Mädchenstimmen, die tiefe, weiche und die kapriziöse, gaben ihm das Geleite bis zur Illbrücke.
     
    Françoise Balde, die Tochter des Maire von Thurwiller, und ihr junger Gast waren inzwischen atemlos den Feldweg heruntergejagt und ins Städtchen zurück. Jetzt, in Sicherheit, lachten sie, übermütig und anhaltend, wie nur junge Mädchen lachen können. Françoise hörte zuerst auf, sie machte eine anmutige, freie Bewegung des Abschüttelns. Frisch und kernig ging sie dann die heiße Straße herauf, ein paar ernsthafte Augen in dem lachenden Gesicht. Lucile schlendertehinterher, immer noch mit kleinen Stößen von Gelächter kämpfend.
    Sie war mit ihrem Vater, dem Straußenfederfabrikanten Dugirard, aus Paris vor ein paar Tagen hier zu Besuch bei den Baldes eingetroffen und amüsierte sich herrlich in der ungewohnten Freiheit der Provinz. Zierlich mit den Stiefelspitzchen über das ungleiche Pflaster balancierend, kam sie sich vor wie eine kleine Fee bei Hirten.
    Jetzt bogen die beiden Mädchen von der Hauptstraße ab nach der Klostergasse, an deren Ende das Baldesche Haus stand. Früher war da ein Franziskanerkloster gewesen. Wiederholt von den Armagnaken geplündert, in burgundischer Zeit durch wilde Einquartierungen und unsicheres Recht verarmt, wurde es im Bauernkriege vollends zerstört. Während der habsburgischen Herrschaft baute man auf den meterdicken Grundmauern ein stattliches Haus für die österreichischen Vögte als Amtssitz. Der Dreißigjährige Krieg verwüstete auch dieses Gebäude wieder. Lange lag es öde, bis endlich die Stadt das Anwesen wiederherstellte und es an begüterte Private verlehnte. Zuletzt wurde es von Baldes Vorfahren mütterlicherseits aufgekauft und zu einem guten, sicheren Patrizierhause umgewandelt.
    Nun stand es da, behaglich und vornehm, mit Fruchtfestons unter den Fenstern und einer breiten Freitreppe. Zwei alte, mächtige Platanen, deren elefantengraue Stämme wie Säulen ragten, hielten rund und wuchtig davor Wacht.
    Die Mädchen gingen durch Flur und Eßzimmer quer durch das Haus nach dem kleinen, gemütlichen Vorplatz hinaus, der, gedielt und mit einer Balustrade versehen, von einem schiefgeneigten Birnbaum überdacht, jetzt grün und kühl im Schatten lag; dunkel dem Goldgrün des Sonnengartens gegenüber. Auf dem Rasenplatz zwischen Haus und Garten lagen weiße Wäschestücke zur Bleiche und gaben die Erinnerung an kalten Schnee.
    Auf diesem Vorplatz saß jetzt Françoises Schwester, Hortense Dugirard, mit ihrer kleinen Désirée in einem Lehnstuhl.Sie ließ das Kind auf ihren Knien mit einem Kätzchen spielen, sie selbst las in einem französischen Roman. Ihr ein wenig blasses Gesicht erheiterte sich, als sie die Schwester sah.
    Lucile begann sogleich mit der Erzählung ihres Abenteuers, ihr Mäulchen regte sich geschwind, die kurzen, raschen Silben
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