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Die Vampire

Titel: Die Vampire
Autoren: Kim Newman
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konnte, befahl ein Dragoneroffizier seinen Männern, unter denen sich Vampire wie auch Warmblüter befanden, den Square zu räumen. Nach dieser Attacke machte die Karpatische Garde des Prinzgemahls sich über die Menge her und richtete mit Zähnen und Klauen größeren Schaden an als die Dragoner mit ihren aufgepflanzten Bajonetten. Es gab nur wenige Tote, dafür aber viele Verletzte; hernach gab es nur wenige Prozesse, dafür aber viele »Vermisste«. Der 13. November 1887 ging als »Blutsonntag« in die Geschichte ein. Geneviève verbrachte eine Woche im Guy’s Hospital und half, die Leichtverwundeten zu pflegen. Viele spuckten sie an oder verwehrten sich dagegen, von einer wie ihr umsorgt zu werden. Hätte nicht die Königin höchstselbst sich eingemischt und beruhigend auf ihre ergebenen Untertanen eingewirkt, wäre das Empire womöglich explodiert wie ein Fass Schießpulver.
    »Und was, bitte, soll ich tun«, fragte Geneviève, »um den Zwecken des Prinzgemahls zu dienen?«
    Lestrade kaute an seinem Schnurrbart; seine Zähne schimmerten, und seine Lippen waren schaumgesprenkelt.
    »Sie werden womöglich gebraucht, Mademoiselle. Toynbee Hall wird bald aus allen Nähten platzen. Manche weigern sich, das Haus zu verlassen, solange der Mörder sein Unwesen treibt. Andere verbreiten Angst und Schrecken, werden Feuer und Flamme für die Pöbeljustiz.«
    »Ich bin nicht Florence Nightingale.«
    »Sie verfügen über Einfluss …«
    »Was Sie nicht sagen.«
    »Ich wollte … ich möchte Sie in aller Bescheidenheit ersuchen … Ihren Einfluss geltend zu machen, damit die Lage sich beruhigt. Bevor es zu einer Katastrophe kommt. Bevor noch mehr Unschuldige ihr Leben lassen müssen.«
    Geneviève scheute sich nicht, ihre Überlegenheit gehörig auszukosten.
Sie streifte ihren Schlafrock ab; der Kriminalbeamte war entsetzt. Auch Tod und Wiedergeburt hatten es nicht vermocht, ihm die Vorurteile seiner Epoche auszutreiben. Lestrade versteckte sich hinter seiner Rauchglasbrille, während sie sich rasch ankleidete. Mit zierlichen, spitzen Fingern schloss sie die kleinen Haken und Knöpfe an ihrem flaschengrünen Kostüm, deren Zahl in die Hunderte zu gehen schien. Ihr war, als sei die Kleidung ihrer warmblütigen Tage, schwer und verfänglich wie eine Ritterrüstung, einzig aus dem Grund wieder en vogue, sie fürchterlich zu quälen. Als Neugeborene hatte sie voller Erleichterung die schlichten Kittelgewänder und karierten Hosen getragen, welche die Jungfrau von Orleans wenn schon nicht in die Mode, so doch in die Gesellschaft eingeführt hatte, und geschworen, sich nie wieder in Abendgarderobe zwängen zu lassen, die ihr den Atem abschnürte.
    Der Inspektor war zu bleich, um angemessen zu erröten. Dennoch erschienen auf seinen Wangen Flecke von der Größe eines Pennys, und er begann unwillkürlich zu schnaufen. Wie so mancher Neugeborene verhielt sich Lestrade ihr gegenüber, als sei sie tatsächlich ebenso alt, wie sie auch aussah. Sechzehn Jahre hatte sie gezählt, als sie von Chandagnac den dunklen Kuss bekam. Sie war wenigstens zehn Jahre älter als Vlad Tepes. Zu einer Zeit, da er als warmblütiger Christenfürst sein Leben fristete, den Türken die Turbane an den Schädel nagelte und seine Landsleute auf gespitzte Pfähle spießte, war sie bereits eine Neugeborene gewesen und hatte sich jene Fertigkeiten angeeignet, die sie nun zur Langlebigsten ihres Stammes machten. Nach viereinhalb Jahrhunderten hatte sie Mühe, ihren Zorn zu unterdrücken, wenn soeben auferstandene Tote, deren Blut noch kaum erkaltet war, sie gönnerhaft behandelten.
    »Silver Knife muss ausfindig und unschädlich gemacht werden«, sagte Lestrade. »Bevor er erneut zu morden beginnt.«

    »Zweifellos«, pflichtete Geneviève bei. »Das klingt ganz nach einem Fall für Ihren alten Kampfgefährten, den beratenden Detektiv.«
    Dank ihrer hellwachen Sinne, die ihr auch verrieten, dass die Nacht hereinbrach, spürte sie förmlich, wie das Blut des Inspektors gefror.
    »Mr. Holmes steht es momentan nicht frei, Nachforschungen anzustellen, Mademoiselle. Er hat gewisse Differenzen mit der gegenwärtigen Regierung.«
    »Sie meinen, man hat ihn, wie so viele unserer klügsten Köpfe, in eines der Gefängnisse in den Sussex Downs verbracht? Wie nennt sie die Pall Mall Gazette doch gleich, Konzentrationslager?«
    »Sein Mangel an Voraussicht ist bedauerlich …«
    »Wo ist er? In Devil’s Dyke?«
    Lestrade nickte, beinahe beschämt. Der Mensch in seinem
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